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Analyse Meckerstimmung im Lutherjahr

Hildesheim · Mit einem Versöhnungsgottesdienst wollen die großen Kirchen heute in Hildesheim ein Zeichen setzen. Es wäre auch eine Gelegenheit für einen Meilenstein anderer Art. Denn ums Reformationsjubiläum ist es ruhig geworden, zu ruhig. Und die Gemütslage bei den Evangelischen ist gereizt.

Auf den ersten Blick sieht die Metallskulptur aus wie eine Panzersperre. Mit Streben in alle Himmelsrichtungen blockiert sie den Weg. Doch wenn heute in der Hildesheimer Michaeliskirche die Spitzen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der römisch-katholischen Deutschen Bischofskonferenz zusammenkommen, um in Anwesenheit des Bundespräsidenten, der Bundeskanzlerin und zahlreicher weiterer Honoratioren einen ökumenischen Buß- und Versöhnungsgottesdienst zu feiern, wird die Metallskulptur aufgerichtet werden. Dann wird aus der Panzersperre, die im Weg liegt und jeden Verkehr blockiert, ein Kreuz.

Denn heute in Hildesheim geht es um das Verhältnis der beiden großen Kirchen zueinander: 500 Jahre nachdem Luthers Thesen eher ungewollt zur Kirchenspaltung führten, wollen der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm und sein katholisches Gegenüber, Reinhard Kardinal Marx, an die Wunden der Reformationszeit und der folgenden Jahrhunderte erinnern.

Aber muss man Gott heute noch, muss man einander heute noch um Vergebung für den Dreißigjährigen Krieg bitten? Immerhin ist das Verhältnis zwischen den großen Kirchen heute so gut wie nie zuvor: Ihre Spitzen pilgerten im vergangenen Herbst durch Israel und Palästina, Marx und Bedford-Strohm sind eng befreundet, und erst in dieser Woche kündigte die Bischofskonferenz an, an einer nationalen Sonderregelung zur Eucharistiezulassung konfessionsverschiedener Paare zu arbeiten. Auf lokaler Ebene gilt das sowieso: In der Kirche St. Michael zu Hildesheim, wo der heutige Gottesdienst stattfindet, feiern sowohl Katholiken als auch Protestanten Sonntag für Sonntag Gottesdienst.

Doch um die Terminologie für das Jahr 2017 gab es jahrelangen Streit: Ist es nun ein Reformationsjubiläum oder ein Reformationsgedenken? Denn ökumenische Wunden sitzen zuweilen tief - nicht nur im Fall der aus dem Harz stammenden Protestantin, die nach ihrer Heirat mit einem Katholiken im bayerischen Allgäu umgetauft werden sollte. "Ich habe selbst als Gemeindepfarrer noch die Geschichten gehört, wo Menschen geächtet wurden, weil sie interkonfessionelle Ehen eingegangen sind", sagt Bedford-Strohm.

Im Sommer 2015 hatten er und Marx vereinbart, gemeinsam einen Gottesdienst zur Heilung der Erinnerungen zu feiern - ein Begriff, der aus der Aufarbeitung der Apartheid in Südafrika stammt, und den schon der Lutherische Weltbund (LWB) benutzte, als er 2007 bei seiner Vollversammlung in Stuttgart die Mennoniten, die Nachfahren der Wiedertäufer der Reformationszeit, um Versöhnung bat. Und am 31. Oktober eröffneten Papst Franziskus und LWB-Präsident Munib Junan das Reformationsjahr bei einem Buß- und Versöhnungsgottesdienst im schwedischen Lund. Da ist es schon verwunderlich, dass der Weltbund heute nicht einmal um ein Grußwort gebeten wurde.

In jedem Fall ist der Gottesdienst für die Kirchen eine gute Gelegenheit, im etwas aus dem Licht der Öffentlichkeit entschwundenen Reformationsjubiläum wieder einen Meilenstein zu setzen. Denn seit dem Auftakt im vergangenen Herbst in Berlin und der Übergabe der revidierten Lutherbibel, die sich über alle Erwartungen hinaus zu einem riesigen Verkaufserfolg entwickelte, ist es in Deutschland um das Jubiläum ruhig geworden.

Ein Truck, der durch Europa fährt und Geschichten rund um die Reformation einsammelt, interessiert nur dort, wo er sich gerade befindet - und auch die wiederkehrenden Aufführungen eines "Pop-Oratoriums" rund um Martin Luther und die Reformation haben dem EKD-Ratsvorsitzenden mit ihrem Rechtfertigungslied "Iustificatio sola fide" zwar nach eigener Aussage einen Ohrwurm beschert. Ihr bundesweiter Aufmerksamkeitsfaktor allerdings bewegt sich in regionalen Grenzen.

Und bei offiziellen Vertretern der EKD ist mittlerweile sogar eine gewisse Angefasstheit festzustellen, wenn es um Kritik am Reformationsjubiläum geht: Statt souverän über den Dingen zu stehen, griff der Vizepräsident des Kirchenamts, Thies Gundlach, die wissenschaftliche Theologie mit spitzer Feder an: Im Magazin "Zeitzeichen" beklagte er "besserwisserische Ignoranz" und "grummelige Meckerstimmung" in der wissenschaftlichen Theologie, deren Vertreter sich prompt mit EKD-Kritik an anderer Stelle revanchierten.

Da kann es der EKD im Grunde nur helfen, wenn der Buß- und Versöhnungsgottesdienst nicht nur einen deutlich sichtbaren Schlussstrich unter die jahrhundertelangen Streitigkeiten von Katholiken und Protestanten setzt, sondern auch dazu beiträgt, dass im eigenen Lager mal wieder so etwas wie eine "Jubiläumsstimmung" auftaucht - und die Barrieren der Selbstkritik in Hildesheim verschwinden.

(RP)
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