Spionage im Kalten Krieg Späte Gerechtigkeit für Julius und Ethel Rosenberg?

Easthampton · Julius und Ethel Rosenberg wurden vor 63 Jahren wegen Atomspionage für die Sowjetunion hingerichtet. Ihre Söhne fordern jetzt US-Präsident Barack Obama auf, die Mutter zu rehabilitieren.

 Zum Tode verurteilt: Julius Rosenberg schaut zu seiner Frau Ethel hinüber, als sie nach der Gerichtsverhandlung am 5. April 1953, in der das Todesurteil fiel, im Polizeiwagen sitzen, der sie zurück ins New Yorker Gefängnis bringt.

Zum Tode verurteilt: Julius Rosenberg schaut zu seiner Frau Ethel hinüber, als sie nach der Gerichtsverhandlung am 5. April 1953, in der das Todesurteil fiel, im Polizeiwagen sitzen, der sie zurück ins New Yorker Gefängnis bringt.

Foto: dpa

Robert Meeropol muss schmunzeln, wenn er von seinem jüngsten Besuch im Weißen Haus erzählt. Anfang Dezember war der 69-Jährige mit seinem jüngeren Bruder Michael dort. Eigentlich wollten sie Präsident Barack Obama einen Brief übergeben. Von den Wachleuten bekamen sie zu hören, dass man Briefe ans Weiße Haus bei der Post aufgebe. Seither üben sie sich in Geduld.

 Robert Meeropol vor einem Bild seiner Eltern.

Robert Meeropol vor einem Bild seiner Eltern.

Foto: Frank Herrmann

"Wir sind keine Hollywoodstars", sagt Robert Meeropol, "sondern nur zwei Leute, die etwas von Obama wollen. Jetzt, wo zum Schluss alle Schlange stehen bei ihm". Bisweilen ringe sich ein Präsident aber noch am Ende seiner Amtszeit zu bemerkenswerten Entscheidungen durch. Um eine solche geht es hier: Obama soll die Mutter der beiden, Ethel Rosenberg, rehabilitieren und erklären, dass sie zu Unrecht verurteilt und auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet wurde.

Sie kamen nur bis zur Pforte

Als er sechs Jahre alt war, stand Robert Meeropol schon einmal vor dem Weißen Haus, um ein Gnadengesuch abzugeben. Seine Eltern, Julius und Ethel Rosenberg, saßen zum Tode verurteilt in New York im Gefängnis, nachdem eine Geschworenenjury sie der Atomspionage für die Sowjetunion für schuldig befunden hatte. Deshalb fuhren die Brüder im Frühjahr 1953 mit Verwandten nach Washington. Auch damals kamen sie nur bis zur Pforte.

An die letzte Woche im Leben seiner Eltern hat Robert Meeropol genaue Erinnerungen. Erst schob ein Richter am Supreme Court die Hinrichtung auf. Für kurze Zeit schien es, als hätten die Rosenbergs Zeit gewonnen. Dann aber setzte der Vorsitzende des Gerichtshofs eine Sondersitzung an, um das Urteil bestätigen zu lassen. Den Tag der Exekution, den 19. Juni 1953, verbringen die Brüder in einer Kleinstadt in New Jersey. Hier sind sie bei Freunden der Familie untergekommen. Im Garten spielen sie Baseball, bis es dunkel wird. Michael begreift schnell, dass seine Eltern nicht mehr am Leben sind, und fragt die Erwachsenen, was denn nun passiert sei. Alle Radiosender meldeten das Gleiche, erwiderten sie.

Für ein paar Monate lebt das Brüderpaar bei der Großmutter, dann im Kinderheim. Die Schule in New Jersey wirft sie hinaus, nachdem Eltern protestiert hatten: Man könne ihren Kindern nicht zumuten, mit den Söhnen der Rosenbergs in einer Klasse zu sitzen. Schließlich erklärt sich ein New Yorker Ehepaar bereit, die beiden zu adoptieren - Anne und Abel Meeropol. "Mit dem neuen Familiennamen zog Ruhe ein", erzählt Robert Meeropol. Bis 1973 in einem Buch über den Fall behauptet wurde, die Kinder der Rosenbergs hätten ihre Namen geändert, weil sie unbehelligt Karriere machen wollten. "Hätten wir nicht reagiert, hätten die Leute das geglaubt", sagt Robert Meeropol.

Versuch einer Normalität

Der Pensionär empfängt in Easthampton, einer Kleinstadt in Massachusetts, im dritten Stock einer alten Textilfabrik. Der "Rosenberg Fund for Children" hat hier sein Büro, gegründet, um Kindern, deren Eltern im Gefängnis sitzen, zu helfen. Randlose Brille, ein bunter Pullover: Robert Meeropol ist exakt der Typ des amerikanischen Ostküsten-Intellektuellen. Bis zu seiner Pensionierung war er Anwalt, kein Mann der lauten Töne, eher der leisen Ironie. "Ich mag kein großes Gewese", sagt er. "Das bedeutete für mich immer, dass etwas Schlimmes passieren würde." Schon in der Haftanstalt hätten die Eltern versucht, ihren Söhnen Normalität vorzuspielen, und er habe sich bereitwillig darauf eingelassen.

Dass er sich jetzt an Präsident Obama wendet, hat auch mit der Wahl von Donald Trump zu tun. Mit der Rehabilitierung seiner Mutter, sagt er, könne der scheidende Präsident ein Signal setzen - gegen autoritäre Anwandlungen, wie sie das liberale Amerika mit der Person Trumps verbinde. Der Fall Rosenberg sei ein Lehrbeispiel, schrieben Robert und Michael in ihrem Brief an das Oval Office. Er zeige, wie die Gerechtigkeit in Zeiten der Hysterie auf der Strecke bleibe, wenn der Staat seine Macht gegen politisch unpopuläre Gruppen wie damals die Kommunisten missbrauche.

Spätestens seit dem vergangenen Jahr weiß man, dass der wichtigste Belastungszeuge bewusst falsche Dinge zu Protokoll gab, was auch die Ankläger des amerikanischen Justizministeriums wussten. Ethel Rosenbergs Bruder David Greenglass arbeitete als Maschinist in der Fabrik in New Mexico, in der die Atombombe gebaut wurde. Vor Beginn des Prozesses hatte er unter Eid ausgesagt, mit seiner Schwester nie über Spionage geredet zu haben. Im Gerichtssaal behauptete er später, Ethel habe Informationen, die er besorgte, mit der Schreibmaschine abgetippt. Greenglass belastete seine Schwester, um seine Frau zu retten, der man, wie auch ihm, die Todesstrafe angedroht hatte.

"So handelt ein autoritäres Regime"

Vor Kurzem stießen Jurastudenten der Seton Hall University auf ein internes Memorandum des FBI vom Juli 1950, wenige Wochen vor Ethels Festnahme. Es mangele an Beweisen, um ein Verfahren gegen die Frau zu eröffnen - aber sie könne benutzt werden, um ihren Mann zum Reden zu bringen. Es war Staatsanwalt Roy Cohn, der diesen Rat in die Tat umsetzte. Im Prozess gegen die Rosenbergs vertrat er die Anklage, bevor er als Berater bei Joseph McCarthy anheuerte, dem Senator, dessen Hexenjagd im Kongresskomitee für unamerikanische Aktivitäten die antikommunistische Hysterie auf die Spitze trieb. Später zählte ein junger Bauunternehmer namens Donald Trump zu den Mandanten des Anwalts Cohn. Von ihm stammt die vom Wahlkämpfer Trump genutzte These, dass man zehnmal härter zurückschlagen müsse, wenn man attackiert werde.

Dass Julius Rosenberg ebenso wie David und Ruth Greenglass zu einem Agentenring des sowjetischen Auslandsgeheimdienstes KGB gehörte, auch wenn dieser keine verwertbaren Atomgeheimnisse weitergab - daran lässt die Seton-Hall-Studie keinen Zweifel. Ethel dagegen sei hingerichtet worden, obwohl die Regierung gewusst habe, dass es keine Belege für ihre Schuld gab. Sie sei Kommunistin gewesen, doch mit Spionage habe sie nichts zu tun gehabt, sagt Robert Meeropol und denkt eine Weile nach, bevor er einen Satz formuliert, den er sich bald auch aus dem Weißen Haus wünscht. Man habe Beweise fabriziert, um eine rein politische Verurteilung zu erreichen: "So handelt ein autoritäres Regime, aber keine offene Gesellschaft."

(RP)
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