Berlin Verteidigungsministerin geht zum Angriff über

Berlin · Marode Waffen, fehlendes Personal, Einsätze ohne Konzept - Ursula von der Leyen muss an mehreren Fronten kämpfen.

Gerade will die Verteidigungsministerin ein großes Tableau entwickeln, um nach der wochenlangen Serie von Negativschlagzeilen auch medial wieder Boden unter die Füße zu bekommen, da schrillt ein Feueralarm und unterbricht die Pressekonferenz. Weil zu viel Dampf im Kessel der heftig attackierten CDU-Politikerin ist? Die Feuerwehr gibt bald Entwarnung, und Ursula von der Leyen empfindet ein Déjà-vu: So wie hier ein einzelner Feuermelder die Arbeit im ganzen Haus lahmlege, sorge ein Kratzer auf der Windschutzscheibe eines Hubschraubers dafür, "dass die ganze Flotte gegroundet wird", also am Boden bleiben muss.

Nur ein Kratzer? Und sonst ist alles in Ordnung? Doch die Ministerin versucht selbst auch nicht, Zweifel an der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr kleinzureden. Sie macht sie sogar noch größer: Von vier U-Booten könnten nur zwei genutzt werden, weil das Fachpersonal fehle, teilt von der Leyen mit - und ist bei ihrem Thema.

Das ist ihr Plan, zu einer attraktiveren Truppe zu kommen. Knapp eine Milliarde Euro will sie in den nächsten Jahren in die Hand nehmen, um Experten besser zu besolden, Überstunden früher zu vergüten, den Standard der Altersvorsorge anzuheben und Teilzeitarbeit in der Truppe zu erweitern. Seit Aussetzen der Wehrpflicht gelte, und das sei ihr Motiv bei der Reform: "Keiner muss mehr zu uns kommen, keiner muss mehr bei uns bleiben."

Der Mittelstand habe sich auf die demografischen Engpässe schon gut eingestellt, die Bundeswehr habe dagegen Nachholbedarf. Das sei "längst überfällig". Den Finanzminister habe sie auch dafür gewinnen können. Der habe am Morgen im Kabinett dem Gesetzentwurf zugestimmt. "Ich habe Grünes Licht dafür", verkündet von der Leyen.

Doch das bedeutet nicht, dass sie dafür auch mehr Geld bekommt. Das muss sie im eigenen Etat zusammensammeln. Intern wird gemunkelt, dass es da durchaus zu 300-Millionen-Engpässen kommen könne. Doch die Ministerin rechnet anders. Im nächsten Jahr brauche sie für die attraktivere Bundeswehr lediglich 0,36 Prozent des Etats und "in der Spitze" ein Jahr später 0,89 Prozent. Das dürfen die Militärs nicht nur als höfliche Erläuterung verstehen. Das ist ein Befehl.

Ein Befehl zur Änderung des Blickwinkels. Bisher galt es als das Wichtigste, dass die Soldaten bestens funktionierendes Material haben. Nun soll das Geld so umgeschichtet werden, dass der Mensch mit seinen familiären Lebensbedürfnissen erkennbar im Mittelpunkt steht. Und das ausgerechnet in einer Zeit, in der das Geld nicht reichte, um die Waffen optimal einsatzbereit zu halten? Dann müsse das System eben effizienter werden, betont die Ministerin und verweist auf die großen Erwartungen an ihre neue, aus der Unternehmensberatung kommende Rüstungs-Staatssekretärin Katrin Suder.

Aber natürlich will von der Leyen auch mehr Geld. Anfang nächsten Jahres, wenn die Grundpfeiler des nächsten Bundeshaushaltes gesetzt werden, müsse sich die Regierung darüber klarwerden, "was uns die Sicherheitspolitik wert" sei, kündigt die Ministerin vorsorglich an. Das beziehe sich dann auch auf "Materialerhalt und Rüstungszulauf".

Aber nicht nur, denn gleichzeitig will die unter Dauerfeuer stehende Ministerin an einer weiteren Flanke in die Offensive kommen: bei dem Vorwurf, sie wolle nur irgendwie mehr Mitverantwortung in der Welt übernehmen und gerate dabei konzeptionslos in immer neue Auslandseinsätze hinein. Deshalb will von der Leyen ein neues "Weißbuch" schreiben. So heißen die Leitlinien deutscher Sicherheitspolitik und deren Auswirkungen auf die Bundeswehr. In den 70er Jahren gab es jedes Jahr ein neues Weißbuch, dann wurden sich die Koalitionspartner in Außen- und Verteidigungsministerium lange Zeit nicht einig, nun soll es zehn Jahre nach dem letzten Weißbuch von 2006 ein neues geben.

Allein bekommt Ursula von der Leyen das nicht hin, aber sie habe schon mit Außen-, Innen- und Entwicklungsminister darüber gesprochen, dass die "Zeit gekommen" sei, einen neuen "Weißbuchprozess zu starten".

(may-)
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