Claudia Bokel im Interview "Fechtsport hat sich gerne blenden lassen"

Düsseldorf · Claudia Bokel, die Präsidentin des Deutschen Fechter-Bundes und frühere Vorsitzende der Athletenkommission im IOC, spricht über die Versäumnisse ihrer Sportart, Probleme mit der Leistungssportreform und zerstörtes Vertrauen zwischen den Verbänden.

 Claudia Bokel beim Ball des Sports 2017.

Claudia Bokel beim Ball des Sports 2017.

Foto: Imago

Wie viele Zeitungsseiten könnten Sie füllen, wenn Sie die Probleme im deutschen Fechten erschöpfend schildern wollten?

Bokel Wie wäre es mit einer Sonderausgabe?

Das wären dann tatsächlich viele Probleme...

Bokel Ich bin ja nun seit November im Amt und habe inzwischen hoffentlich einen Überblick gewinnen können. Ich hätte mir aber nicht vorstellen können, dass immer wieder aufs Neue Probleme aufploppen. Ich dachte eher, wir könnten uns zu diesem Zeitpunkt ausschließlich damit beschäftigen, die Zukunft zu planen.

Wenn Sie nun keine Sonderausgabe, sondern nur eine Antwort in diesem Interview hätten, welche zentralen Baustellen würden Sie nennen?

Bokel Natürlich die Leistungssportreform mit der Reduzierung unserer Bundesstützpunkte von sechs auf drei. Die Sporthilfeförderung. Und die Trainerproblematik.

Gute Trainer aus dem Ausland kamen jahrelang gerne nach Deutschland. Inzwischen gehen sie woanders hin — wegen der besseren Bezahlung.

Bokel Das ist so. Wir haben aktuell nicht in jeder Disziplin einen Bundestrainer, auf der anderen Seite haben wir aber auch, wie Sie sagen, nicht das Geld, um gute Trainer aus dem Ausland zu holen.

Blieben als Alternative Trainer aus dem Inland.

Bokel Ja, und wir haben sicherlich Top-Trainer im Nachwuchsbereich, die man heranziehen müsste.

Doch da hapert es. Öffentliche Anerkennung bringt der Trainerjob kaum. Und ein Lehrer verdient mehr. Womit also will der Sport junge Trainer bewegen, dabei zu bleiben?

Bokel Dafür bräuchte es entsprechende Strukturen und finanzielle Mittel. Denn die Trainer wollen ja auch eine langfristige Perspektive sehen. Es kann nicht immer nur über Herzblut funktionieren.

Die Reduzierung der Bundesstützpunkte, die der DOSB anstrebt, soll den Fechtsport an den verbleibenden Standorten Bonn, Dormagen und Tauberbischofsheim zentral bündeln. Eine gute Idee?

Bokel Es mag gut sein für die Spitzensportler, noch mehr zusammen zu trainieren, aber wir müssen trotz aller Zentralisierung schauen, dass wir auch weiterhin flächendeckend in den Vereinen Athleten finden und fördern, bis sie an einen Bundesstützpunkt wechseln. Und dass die Vereine etwas davon haben, diese Athleten ausgebildet zu haben. Denn es geht für uns Fechter ganz generell darum, Nachwuchs zu finden. Ich spreche nicht davon, dass wir in Tokio 2020 schon mehrere Olympiasieger haben wollen, aber perspektivisch würden wir schon gerne wieder dahin kommen, um die Medaillen mitkämpfen zu können.

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Ausnahmetalente von Anja Fichtel-Mauritz und Arnd Schmitt bis hin zu Benjamin Kleibrink und Britta Heidemann haben über Jahrzehnte verlässlich olympische Goldmedaillen geliefert. Hat der Fechtsport darüber vergessen, Erfolg strukturell zu unterfüttern?

Bokel Ich glaube schon, dass man sich gerne hat blenden lassen von den Erfolgen. Aber irgendwann musste das mit den Medaillen ja einbrechen.

Und nun gelten Sie als die große Hoffnungsträgerin.

Bokel Ja, das nehme ich auch wahr. Denn die Bitte, das Amt zu übernehmen, kam von mehreren Seiten. Von Seiten, die sich nicht immer grün sind. Deswegen habe ich es mir überlegt.

Mussten Sie lange überlegen?

Bokel Ja.

Eine Woche? Zwei?

Bokel Länger.

Dann haben Sie ja gesagt und müssen sich nun mit der Leistungssportreform herumschlagen. Denn mit der soll ja nun alles besser werden. Aber kann es das, wenn dadurch drei von vier Bundeskaderathleten im Fechten aus der Sportförderung herausfallen?

Bokel Wir sind eine Kampfsportart, und wir leben davon, dass wir Trainingspartner haben. Und wenn wir immer nur die Mitglieder der Nationalmannschaft miteinander trainieren lassen, ist das zu wenig. Deswegen ist es umso wichtiger, dass wir auch im Nachwuchsbereich zentrale Maßnahmen haben. Das kostet allerdings Geld.

Ist der DOSB eigentlich empfänglich für Rückmeldungen aus dem Sport?

Bokel Unser Verbandsgespräch mit dem DOSB ist für Ende Juni angesetzt. Wir werden uns aber schon früher mal zusammensetzen, um zu gucken, ob wir überhaupt zusammenfinden. Aber wir Fechter sind ja nicht allein. Andere Zweikampfsportarten wie Judo oder Boxen haben ähnliche Probleme. Deswegen tauschen wir uns aus. Und das hilft wirklich ungemein.

Spricht das deutsche Fechten denn immer mit einer Stimme?

Bokel Nein, aber das muss es auch nicht. Am Ende müssen nur alle verstehen — Verbände, Stützpunkte und Vereine —, warum entsprechende Entscheidungen so getroffen werden. Es wird folglich eine der großen Aufgaben sein, eine Gesamtstrategie zu finden, die unterm Strich alle mittragen.

Aber gerade, wenn es darum geht, wohin Geld fließen soll und welche Stützpunkte schließen sollen, spielen neben sportlichen Leistungen ja auch immer vergangene Erfolge und persönliche Seilschaften eine Rolle. Nehmen wir das Beispiel Tauberbischofsheim, das gemessen am teuren Unterhalt zuletzt wenige erfolgreiche Athleten hervorgebracht hat.

Bokel Ich würde mir doch auch wünschen, dass wir das riesige Fechtzentrum, das Erbe von Emil Beck, in dieser Form bräuchten. Momentan sieht es aber so aus, dass wir auch dort gewisse Abstriche machen müssen.

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Wenn das Geld nicht reicht, muss man sich dann vielleicht von Waffengattungen verabschieden?

Bokel Ich fände es ganz schlimm, wenn wir sagen müssten, wir schaffen es in Deutschland nicht mehr, Degen, Florett und Säbel zu unterstützen.

Und in all diese Probleme hinein kommt die WM in Leipzig — ausgerechnet dort also, wo ein Bundesstützpunkt schließen soll. Was kann das Turnier bringen?

Bokel Wir müssen es nutzen, um Begeisterung für unseren Sport zu wecken. Das ist wahrscheinlich noch wichtiger, als Medaillen zu gewinnen. Ich glaube, der DOSB erwartet auch nicht von uns, dass wir bei der WM alles abräumen.

Kennt der deutsche Sport eigentlich eine gesunde, sachliche Diskussion?

Bokel Um eine sachliche Diskussion zu führen und auszuhalten, braucht es Vertrauen. Und das ist vielleicht im deutschen Sport ein wenig zerstört.

Weil jeder an sich denkt?

Bokel Das kann ich ja nachvollziehen, aber ich würde mir schon einen anderen Ton in der Diskussion wünschen.

Es ist immerhin eine Diskussion, in der der Fechtsport an prominenter Stelle vertreten ist: Max Hartung ist Athletensprecher im DOSB, Britta Heidemann sitzt in der Athletenkommission des IOC, und IOC-Präsident Thomas Bach war ja nun auch Fechter.

Bokel Ich mache mir deswegen auch keine Sorgen, dass wir nicht über die richtigen Köpfe in der Debatte verfügen.

Sie selbst saßen von 2008 bis 2016 auch in der Athletenkommission des IOC. Gab es keine Möglichkeit, im Anschluss beim IOC zu bleiben? Oder in den DOSB zu wechseln?

Bokel Das wäre immer möglich gewesen. Im IOC hätte man mich vorschlagen können. Das ist nicht passiert. Der DOSB hätte mich zum persönlichen Mitglied machen können. Auch das ist nicht passiert. Ich lege keinen Wert auf Positionen, wenn ich sie selbst erfragen muss.

Vielleicht haben Sie sich zu sehr für die Athleten eingesetzt?

Bokel Ich habe mich 2008 in Peking von den Athleten wählen lassen, um für ihre Belange einzutreten. Und dann hätte ich mich vornehmlich so verhalten sollen, dass ich mir es mit IOC und DOSB für eine spätere Laufbahn nicht verscherze? Das geht doch nicht.

Stefan Klüttermann führte das Gespräch.

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