Schwimm-EM in Berlin Die Hoffnungen ruhen auf Biedermann

Düsseldorf/Berlin · Heute steigt Paul Biedermann zum ersten Mal bei der Schwimm-EM in Berlin ins Becken. Nach dem Rennen über 400 m Freistil wird klar sein, ob der deutsche Schwimmstar die Form hat, mit der er dem deutschen Team helfen kann.

 Paul Biedermann soll für deutsche Medaillen bei der Schwimm-EM in Berlin sorgen.

Paul Biedermann soll für deutsche Medaillen bei der Schwimm-EM in Berlin sorgen.

Foto: dpa, han nic

Wenn ein Sportler sich als Wundertüte bezeichnet, hat das meistens taktische Gründe. Wahrscheinlich will er seine Konkurrenz im Unklaren über seine tatsächliche Leistungsstärke lassen. Möglich ist aber auch, dass er die Erwartungen an ihn dämpfen will, weil er selber nicht weiß, in welche Richtung die Formkurve ausschlagen wird. "Ich bin eine kleine Wundertüte", sagt Schwimmstar Paul Biedermann vor dem Start über die 400 m Freistil.

Zu dieser Aussage veranlasst hat ihn wohl die Tatsache, dass er aufgrund von Erkältungen bislang drei Wochen nicht trainieren konnte. "Die Vorbereitung lief nicht optimal", sagte der 28-Jährige. So rätselt er über sein Leistungsvermögen, das er für das deutsche Schwimm-Team in die Waagschale werfen kann. Denn Biedermann ist der große Hoffnungsträger bei der Heim-EM. Für sechs bis acht Medaillen sollen die Beckenschwimmer im Velodrome von Berlin sorgen. Biedermann muss also liefern.

Und das hat er vor. Der Freistilschwimmer peilt gleich fünf Starts an. "Das habe ich so auch noch nie gemacht", sagt er. Kurzfristig darüber entscheiden will er, ob er heute als Titelverteidiger für die 400 m Freistil an den Start geht. Sicher dabei ist er wohl bei der Staffel über die 4 x 200 m Freistil und die Lagen-Staffel. Auf seine Spezialstrecke, die 200 m Freistil, wird er aller Voraussicht nach nicht verzichten. Die 100 m Freistil könnten jedoch am Ende der dreiwöchigen Trainingspause zum Opfer fallen.

Seit der EM 2012 ist der Lebensgefährte von Ex-Schwimmerin Britta Steffen nicht mehr international auf Langbahnen geschwommen. Ein Aufeinandertreffen mit dem großen Rivalen Yannick Agnel hat es deswegen seitdem auch nicht mehr gegeben. Wenn Biedermann nach den 400 m Freistil heute Abend aus dem Becken steigt, wird er deshalb wissen, wie gut er wirklich in Form ist. Denn das Rennen wird gleich zum großen Härtetest.

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Der Franzose Agnel ist Top-Favorit, und Biedermann nimmt die Rolle des Herausforderers an: "Für mich ist das auf jeden Fall das Highlight, er ist ganz klar der große Star hier in Berlin." Bei Biedermanns drei EM-Titeln 2012 in Debrecen fehlte der Franzose, der in den USA mit Rekord-Olympiasieger Michael Phelps trainiert. "Wenn man gegen Yannick Agnel schwimmt", sagt Biedermann, "schwimmt man auch gegen Michael Phelps."

Doch Biedermann muss sich nicht in Tiefstapelei flüchten. Schließlich hat er seit 2008 bei Europameisterschaften immer Gold holen können. Wenn er über seine Weltrekord-Strecke 200 m Freistil als Erster anschlägt, wäre es sein viertes EM-Gold hinteinander. Doch nicht nur der 28-Jährige ist gefragt, wenn es darum geht, den Heimvorteil zu nutzen und Medaillen für den DLV zu erschwimmen. Marco Koch und Steffen Deibler heißen die beiden Hoffnungsträger hinter Deutschlands Top-Schwimmer.

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Koch holte bei dem WM-Debakel im vergangenen Jahr in Barcelona mit dem zweiten Platz über 200 m Brust die einzige Medaille für Deutschland. Eine Leistung, die Hoffnung macht für die EM in Berlin. "Das lasse ich wenig an mich ran. Den einzigen Druck, den ich an mich ranlassen möchte, ist der, den ich mir selbst mache", sagt der 24-Jährige. Kampfansagen sucht man im deutschen Team ohnehin vergeblich. Auch Steffen Deibler zieht es eher vor, die Erwartungen in einem überschaubaren Rahmen zu halten. "Natürlich will ich die Medaille. Es ist aber auch möglich, dass es mit einer sehr guten Zeit nicht dafür reicht", sagt der Hamburger, der über die 100 m Schmetterling startet.

Die deutschen Medaillenhoffnungen auf der Langbahn setzen wohl auch auf einen gewissen Schub der Zuschauer in Berlin. Bei der EM vor zwölf Jahren bescherte das Heimspiel dem DSV 22 Medaillen. "Man sollte das nicht miteinander vergleichen", sagt Bundestrainer Henning Lambertz. "Man sollte auf das schauen, was wir drauf haben - und das ist eine ganze Menge."

Neben den bekannten Namen werden in Berlin keine Überraschungen im Wasser zu sehen sein. Denn der Nachwuchs kann beim langjährig angelegten Projekt "Rückkehr in die Weltklasse" nicht helfen. Im Gegensatz zu anderen Nationen wie Schweden oder Litauen hat der DSV keine Top-Talente zu bieten. Bundestrainer Lambertz macht sich deshalb so seine Gedanken, wie sein Team trotzdem die erhoffte Vorgabe von sechs bis acht Medaillen erfüllen kann. "Wenn alle Sterne wirklich mal gut stehen und das abgerufen wird, was die Athleten drauf haben, ist auch so eine Zahl nicht komplett unrealistisch."

(RP)
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