Studie lässt die Schachwelt kalt Auch im Schach kann man dopen

Köln · Forschern ist erstmals der Nachweis einer Doping-Wirkung bei Schachspielern gelungen. Großen Einfluss auf die Schachwelt wird die Studie wohl nicht haben.

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Foto: ap, Arun Sankar K

Zwischen Schach und Fußball gibt es denkbar wenige Berührungspunkte. Der Satiriker und Moderator Jan Böhmermann vereinte mal beide Seiten in einem vielbeachteten Satz, den er Lukas Podolski in den Mund legte: "Fußball ist wie Schach, nur ohne Würfel." Doch es ist ein anderer Satz, der beide Lager tatsächlich zu verbinden scheint, weil er hüben wie drüben in schöner Regelmäßigkeit auftaucht: dass nämlich im Fußball und beim Schach "Doping nichts bringt".

Im Fußball ist die Aussage längst als eine dem Milliardengeschäft zuträgliche Schutzbehauptung entlarvt, die mit der Realität wenig zu tun hat. Im Schach wurde der Satz nun durch die Veröffentlichung einer wissenschaftlichen Studie widerlegt: Forschern der Uni Mainz ist erstmals der Nachweis einer Doping-Wirkung bei Schachspielern gelungen.

Die Wissenschaftler verabreichten 39 Turnierschachspielern an vier Tagen entweder Modafinil (wirkt aufputschend, verhindert Müdigkeit), Methylphenidat (euphorisierend, steigert die Aufmerksamkeit), Koffein oder ein Placebo. Die Analyse von mehr als 3000 Testpartien gegen einen Computer ergab, dass die Spieler unter dem Einfluss der Stimulanzien länger über den besten Zug nachdachten und sich ihre Spielstärke steigerte.

"Die Ergebnisse zeigen erstmals, dass auch hochkomplexe kognitive Fähigkeiten, wie sie beim Schachspiel nötig sind, durch Stimulanzien verbessert werden können. Offenbar sind die Probanden unter Stimulanzieneinfluss eher in der Lage, Entscheidungsprozesse vertieft zu reflektieren", sagte Studienleiter Andreas Franke.

"Wir müssen und werden die Ergebnisse aufnehmen und bewerten. Ich denke aber nicht, dass die Studie in der Schachwelt eine Reaktion auslöst", sagte Herbert Bastian, Präsident des Deutschen Schachbundes (DSB), dem SID.

Er verweist auf eine Erkenntnis, die sich in der Schachwelt mittlerweile durchgesetzt habe und derzufolge sich die Wirkung von Stimulanzien eher ins Gegenteil umkehrt, je länger die Partie dauert. Die Studie selbst verweist darauf, dass der Effekt der Mittel unter Zeitdruck, der im Turnierschach zur Tagesordnung gehört, eingeschränkt war.

Der deutsche Internist, Psychotherapeut und Schachgroßmeister Helmut Pfleger verwies schon weit vor der Jahrtausendwende auf die Unberechenbarkeit von Stimulanzien im Schachsport. 1979 teste er in die entgegengesetzte Richtung, er warf sich vor einer Partie gegen den Russen Boris Spasski Blutdrucksenker ein: "Ich habe nur Quatsch gespielt", sagte er danach.

DSB-Präsident Bastian ist ohnehin überzeugt, dass klassisches Doping im Schach "definitiv eine untergeordnete Rolle" spiele, eine andere Form des Betruges stellt seiner Meinung nach ein viel drängenderes Problem dar: "Wir nennen es elektronisches Doping, wenn Schachspieler während der Partien Kontakt mit außenstehenden Personen aufnehmen, was tatsächlich schon diverse Male vorgekommen ist. Einen klassischen Dopingfall hat es dagegen im Schach noch nie gegeben."

Das stimmt. Es gibt allerdings Vorkommnisse, die tief blicken lassen. Der berühmteste Fall ist der des Ukrainers Wassilij Iwantschuk. Der Großmeister verweigerte 2008 am letzten Tag der Schach-Olympiade in Dresden unter wüsten Protesten und Beschimpfungen eine Dopingprobe. Die fällige Zweijahressperre wurde allerdings nie verhängt, da der Weltverband FIDE einen Formfehler feststellte: Iwantschuk sei die Aufforderung zur Probe nicht verständlich genug gemacht worden.

Dass Iwantschuk selbst in der an sonderbaren Charakteren reichen Schachbranche als ziemlich durchgeknallt gilt - Bastian bezeichnet ihn höflich als "manchmal etwas weltentrückt" -, half der FIDE, den Fall als Ausnahme darzustellen.

Tatsächlich wird im Schach beim Thema Anti-Doping gerne mit der Nase gerümpft. Der deutsche Großmeister Robert Hübner trat einst aus Protest gegen die neuen Anti-Doping-Regularien aus der Nationalmannschaft zurück. Hübner lehnt die Sportgerichtsbarkeit ab, weil er Schach nicht als Sport, sondern als Kuturgut ansieht - und Dopingkontrollen demzufolge als unzulässig.

Die FIDE lässt Doping-Tests seit 2001 durchführen. Kritiker behaupten, der Weltverband nehme die Tests als notwendiges Übel in Kauf, um sich nicht von vornherein den möglichen Zugang zu einem Ereignis zu verbauen, an dem die FIDE bis heute großes Interesse hat: die Olympischen Spiele.

DSB-Sportdirektor Uwe Bönsch will sich mit derlei Zukunftsmusik nicht auseinandersetzen, mit der Doping-Studie allerdings schon. Er verweist auf die "vertrauensvolle Zusammenarbeit" mit der Nationalen Anti Doping Agentur (NADA), die seit 2009 für den DSB Tests durchführt. Im Jahr 2015 waren es insgesamt sechs - ohne Auffälligkeiten. Bönsch will nun mit der NADA Kontakt aufnehmen und mögliche Reaktionen auf die Studie erörtern.

(sid)
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