WM-Tagebuch Daumen hoch - Brasiliens Zeichensprache
Der gereckte Daumen heißt "alles okay". Schon als Schulkind missbrauchten wir ihn auch zum Zählen (meistens die Eins). Eine Eigenart der Mitteleuropäer, die in Brasilien häufig zu Missverständnissen führt.
Vor ein paar Wochen habe ich noch gedacht, so verständigen sich all die Menschen am Flughafen, die Flugzeuge reparieren, Flugzeuge einweisen, Flugzeugtüren schließen oder sogar Flugzeuge fliegen können. Weil die (die Flugzeuge) dabei ordentlich Lärm machen, geht immer der Daumen hoch, wenn alles in Ordnung ist.
Die Brasilianer haben den Flughafen in ihr Land und ihr Leben importiert. Denn der gereckte Daumen ist die Grundlage aller Gespräche. Ist das Wetter gut, geht der Daumen hoch. Ist das Wetter schlecht, geht der Daumen hoch. Könnte ja sein, dass es bald wieder gut ist. Ist noch Kaffee in der Kanne auf dem Frühstücksbufett? Daumen hoch, die Kanne ist voll. Oder: Daumen hoch, die Kanne ist zwar leer, aber bestimmt bald wieder voll. Oder: Die Kanne ist zwar leer, wird heute auch nicht mehr aufgefüllt, aber es könnte sein, dass es morgen ganz anders aussieht. Vielleicht auch nicht.
Daumen hoch am Bankschalter, wenn der Geldautomat mal wieder nichts herausrücken wollte. Das heißt: Versuche es ruhig noch mal, geht sowieso nicht. Oder: Komm' morgen wieder, dann ist ein Kollege da. Oder: Geld wird überbewertet.
Daumen hoch, wenn mich jemand verstanden hat. Daumen hoch, wenn mich jemand nicht verstanden hat. Daumen hoch in der Pizzeria, als wir mit fünf Mann fünf Pizzen bestellen - auf die mitteleuropäische Zeichenart: Volle Hand.
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Die Pizzen sind groß genug für fünf ausgehungerte Mitteleuropäer, das war wohl die Botschaft. Wieder ein Geheimnis entschlüsselt. Diesmal ich: Daumen hoch.
Jetzt müssen noch Getränke her - drei Bier, zwei Cola. Es kommen zwei Bier, eine Cola. Daumen hoch. Einspruch vom Tisch: drei Bier (Daumen, Zeigefinger, Mittelfinger), zwei Cola (Daumen, Zeigefinger). Daumen hoch. Aber auch auf der anderen Seite des Bestellblocks geht der Daumen hoch.
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Fragend stehen sich zwei Daumen gegenüber. Also muss die Übersetzungshilfe her. Mit dem Zeigefinger, der ist schließlich für so was da, auf alle Menschen am Tisch gezeigt. Eins, zwei, drei, vier, fünf. Kurze Pause. Dann: eins, zwei, drei - Pause - Bier; eins, zwei - Pause - Cola. Daumen hoch. Der Mensch auf der anderen Seite des Bestellblocks zieht sich zur Beratung ins Innere des Lokals zurück.
Es dauert ein brasilianisches Weilchen, das ungefähr dem entspricht, was meine griechischen Freunde "einen griechischen Moment" nennen. Also zwischen fünf und zehn Minuten. Pizza und Bier werden unterdessen schon mal freundschaftlich geteilt. Allseitig: Daumen hoch.
Es erscheint ein eindeutig wichtiger Mensch. Und mit ihm naht die Völkerverständigung über die Möglichkeiten der menschlichen Hand hinaus. Sein Englisch ist dramatisch besser als mein Portugiesisch. Das wiederum heißt: Es reicht wesentlich weiter als "tudo bem" (alles gut) und "Bom Dia" (Guten Tag) in der britischen Entsprechung. Daumen hoch.
Wir müssen nun zur Belustigung der Kundschaft im Lokal unsere Bestellung auf die nonverbale Art wiederholen und anschließend in Zahlen auf einem Zettel dokumentieren. Ergebnis: Daumen hoch und brüllendes Gelächter. Denn wir haben in mitteleuropäischer Unwissenheit übersehen, dass der Daumen nur den Gesprächsverlauf dokumentiert, auf keinen Fall aber zum Zählen missbraucht wird. Eine korrekte Bestellung von drei Bier geht so: Zeigefinger, Mittelfinger, Ringfinger - Pause - Bier. Anschließend: Daumen hoch. Und fünf Pizzen: Zeigefinger, Mittelfinger, Ringfinger, kleiner Finger, Zeigefinger (nächste Hand).
Die Kundschaft liegt sich in den Armen. Die nächsten drei Bier gehen aufs Haus. Daumen hoch.
