London Geknickt

London · Nach der WM-Niederlage gegen Anthony Joshua denkt Box-Schwergewichtler Wladimir Klitschko über einen Rückkampf nach.

Als Wladimir Klitschko nach dem "Kampf für die Ewigkeit" um 1.35 Uhr in den Katakomben des Wembley-Stadions vor die Presse trat, sah er schon wieder erstaunlich erholt aus. Der Schnitt am linken Auge war überschminkt, sein Blick drückte Entschlossenheit aus. Der Altmeister wollte trotz der schmerzhaften K.o.-Niederlage gegen den neuen Box-Riesen Anthony Joshua keine Schwäche zeigen - und wischte das große Thema Rücktritt vorerst zur Seite.

"Ich bin glücklich, das war ein großer Fight", sagte Klitschko und sorgte für Verwunderung. Beide Boxer hatten den 90.000 Zuschauern eine mitreißende Ringschlacht geboten, die Box-Laien wie -Experten von den Sitzen riss. Der Guardian schrieb von einer "epischen Wembley-Schlacht", selbst der Klitschko-Bezwinger Tyson Fury zollte Respekt für einen "guten Kampf auf Leben und Tod". Joshua ging aus dem Spektakel als klarer Sieger hervor. In der elften Runde musste man sich nach zwei Niederschlägen Sorgen um Klitschkos Gesundheit machen, ehe Ringrichter David Fields den Kampf abbrach.

Doch Klitschko haderte nicht mit dem Ringrichter und wollte auch nicht über ein Karriereende nachdenken. "Ich fühle mich gut und sicher, weil ich die Klausel für einen Rückkampf im Vertrag habe", sagte der 41-Jährige: "Ich werde in den nächsten Wochen darüber nachdenken." Und er betonte, dass für einen nächsten Kampf niemand anderes in Frage kommt als Joshua. Joshua reagierte entspannt. "Ich habe nichts dagegen, noch mal gegen ihn zu kämpfen, wenn er das möchte", sagte der Olympiasieger von 2012. Er ist durch den Sieg nun nicht nur Titelträger der IBF und IBO und Super-Champion der WBA, sondern endgültig der neue Superstar im Schwergewicht. "Joshua schlug sich seinen Weg in die Boxgeschichte und sicherte sich eine goldene Zukunft", schrieb die Times.

Stolz konnten am Ende aber beide Kämpfer sein. Sie boten phasenweise einen offenen Schlagabtausch, den man bei Kämpfen auf diesem Niveau nur selten sieht. Joshua wurde einmal angezählt, Klitschko ging dreimal zu Boden. "In einigen Jahren wird man sagen, das war ein Klassiker", meinte Klitschkos Manager Bernd Bönte. Tragisch, dass Klitschko mit seiner besten Leistung seit langem scheiterte. "Er erschien in der Niederlage größer, als er es je bei seinen Siegen vermocht hat", schrieb die Washington Post. Allerdings wurde der Wahl-Hamburger Opfer seiner taktischen Vorsicht. Statt in Runde sieben nach dem Niederschlag von Joshua nachzusetzen, vertrödelte er den Kräftevorteil, ließ sich von Joshuas Trash Talk verunsichern und wurde dafür in Runde elf brutal bestraft, als der Brite wieder zu Kräften gekommen war. "Im Nachhinein kann man natürlich sagen, ich hätte nach dem Niederschlag mehr machen sollen. Aber ich habe mir die Zeit genommen", sagte Klitschko. Dass er in Runde zehn nach Punkten hinten lag, hatte ihm sein Trainer Johnathon Banks geflüstert. Doch nicht Klitschko, sondern Joshua drehte auf und fegte wie eine Urgewalt über den Altmeister hinweg.

Auch die Experten waren aus dem Häuschen. "Das war beste Werbung fürs Boxen", sagte Ex-Weltmeister Marco Huck am Ring. Henry Maske sprach sich für einen Rückkampf aus: "Warum sollen sie nicht noch mal einen Kampf machen? Wladimir hat nicht enttäuscht." Klitschko sinnierte nach dem "Kampf für die Ewigkeit" (Daily Telegraph) über den Sinn von Niederlagen, die einen im Leben ohnehin weiterbringen als Siege. "Obwohl ich den Kampf verloren habe, habe ich auch viel gewonnen", philosophierte er und verwies auf die Tatsache, dass er vor 90.000 meist jüngeren Fans geboxt und seinen Bekanntheitsgrad gesteigert habe. In England war der Kampf der vorläufige Höhepunkt eines Booms, der den Boxern wieder große Zahltage verspricht. Insgesamt spülte der Fight etwa 50 Millionen Euro in die Kassen. Klitschko und Joshua dürfen sich über eine Börse von bis zu 20 Millionen freuen. Auch deshalb kann der geschlagene Ukrainer die Schlappe gut wegstecken und auf eine Wiederholung hoffen. Für Joshua sind die Prognosen noch rosiger. Der gelernte Maurer aus Watford soll, so heißt es in britischen Medien, der erste Milliardär des Boxsports werden.

(sid)
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