Interview „Computerspiele haben uns zu digitalen Alphabeten erzogen“

Düsseldorf · Als die Pixel laufen lernten – Ende der 70er eroberte die Konsole das Wohnzimmer. In seinem Buch "8-Bit" setzt Stephan Günzel (45) Klassikern wie "Prince Of Persia" ein Denkmal. Wie haben Computerspiele unser Leben verändert? Ein Gespräch.

 Ein Mann der Tat: Prince Of Persia

Ein Mann der Tat: Prince Of Persia

Foto: Broderbund

Als die Pixel laufen lernten — Ende der 70er eroberte die Konsole das Wohnzimmer. In seinem Buch "8-Bit" setzt Stephan Günzel (45) Klassikern wie "Prince Of Persia" ein Denkmal. Wie haben Computerspiele unser Leben verändert? Ein Gespräch.

 Stephan Günzel erkannte in der Pubertät, dass Mädchen nicht mit Computerspielen zu beeindrucken waren — und stieg auf E-Gitarre um.

Stephan Günzel erkannte in der Pubertät, dass Mädchen nicht mit Computerspielen zu beeindrucken waren — und stieg auf E-Gitarre um.

Foto: Günzel

Welche Figur aus der Zeit der 8-Bit-Spiele löst bei Ihnen noch heute starke Gefühle aus?

Stephan Günzel Ganz innig verbunden bin ich mit dem Frosch von "Frogger", weil es das erste Computerspiel war, das ich mit elf oder zwölf besessen habe. Damals hatte mir mein Vater einen C64 gekauft. Obwohl der Frosch namenlos ist, hat er mir leidgetan, wenn ich ihn nicht heil über die Straße oder den Fluß bekommen habe.

Es ist Ihnen nicht immer gelungen?

Günzel Selten.

Haben Computerspiele Ihre Jugend dominiert?

Günzel Es waren auf jeden Fall ein paar intensive Jahre, in denen ich mich nach der Schule sofort an den Rechner gesetzt und bis abends gespielt habe. Die wenigsten Spiele habe ich gekauft. Das war zu der Zeit in der bayerischen Provinz auch nicht möglich. Was mich damals wirklich begeistert hat, war "Zaxxon". Das war etwas Neues. Dieses Spiel, das einen in den Weltraum bringt. Das so was wie eine 3D-Grafik hatte. Irre Geräusche. Sehr bunt.

Wann hat das Interesse an Computerspielen nachgelassen?

Günzel Mitte der 80er, als ich in die Pubertät kam. Computerspiele hatten sich abgenutzt, und ich merkte, dass darüber keine Mädchenfreundschaften zu gewinnen waren. Dann habe ich es mit E-Gitarre versucht.

In Ihrem Buch beschäftigen Sie sich mit 8-Bit-Spielen, also der Frühzeit der Computerspiele bis Anfang der 90er. Was bedeutet überhaupt 8 Bit?

Günzel 8 Bit bezieht sich auf die Speichergrundlagen. 8 Bit bedeutet, es gibt 2 hoch 8 Möglichkeiten, dass Elemente kombiniert werden können. Also 256 Zustände, Töne, Farben oder Pixel. Heute haben wir einen Standard von 64 Bit.

8 Bit schränkt die Möglichkeiten sehr ein, trotzdem lösen Spiele wie "Prince Of Persia" oder "Super Mario" auch heute noch etwas aus. Ist das nur mit Nostalgie zu erklären?

Günzel Es setzt den Gestaltern Grenzen, innerhalb derer sie ausdrücken müssen, was sie ausdrücken wollen. Wenn ich fast unbegrenzte Möglichkeiten, dann wähle ich so was wie eine Zentralperspektive. Wenn ich aber froh bin, überhaupt einen Unterschied zwischen zwei Spielfiguren hinzubekommen, dann muss ich sehr genau überlegen, wie ich das gestalte. Auch heutige Entwickler können davon lernen, sich zu beschränken, anstatt auf Fotorealismus zu setzen.

In Ihrem Buch beschreiben Sie, warum durch die Grenzen von 8 Bit Super Mario überhaupt zu seinem Aussehen kam.

Günzel Es waren eben kaum Details darstellbar. Herausgekommen ist ein Klempner mit Latzhose und Schnurrbart, aber ohne Mund.

In heutigen Computerspielen sehen Menschen immer realistischer aus, aber wenn ich in die Gesichter schaue, dann haut das eben knapp nicht hin. Warum finde ich Super Mario auf dem Game Boy menschlicher als einen Spieler aus Fifa Soccer?

Günzel Wir gleichen bei diesen Pixelfiguren gar nicht ab, wie ein wirklicher Mensch aussieht, weil sie eben so weit davon entfernt sind. Wir akzeptieren, dass sie eigene Wesen sind, die eben so aussehen. Wir akzeptieren, dass Super Mario gar keinen Mund hat, sondern nur einen Schnauzbart. Das ist bei Comicfiguren ähnlich. Heutige Figuren in Computerspielen aber gleichen wir mit der Realität ab, weil die eben Menschen darstellen sollen.

Diese Pixel-Ästhetik aus der 8-Bit-Ära kommt auch bei Handyspielen von heute zum Einsatz. Hat diese Anmutung also auch heute noch was für sich?

Günzel Der Reiz besteht einerseits darin, dass das Spielen auf einem kleinen Bildschirm leichter fällt, wenn ich weniger Informationen auslesen muss. Andererseits ist so ein Spiel für die Entwickler leichter zu realisieren. Das kann auch ein Ein-Personen-Unternehmen schaffen. Und weniger Strom brauchen diese Spiele auch.

Warum wurden überhaupt Computerspiele erfunden?

Günzel In den USA gab es die Tradition der Arcades, der Spielhallen, in denen die Pinball-Maschinen standen. Einige dieser Spiele haben bereits versucht, ein Bildschirmspiel zu sein. Sie haben noch mechanisch funktioniert, aber es gab zum Beispiel Lichterketten. Als dann die ersten Computer in Umlauf kamen, brachte das Leute auf die Idee, auch die Automatenspiele auf den Computer zu übertragen. Dass Computer sich überhaupt derart rasant entwickelten, hatte mit dem US-Militär zu tun, mit dem Wettrüsten nach dem Zweiten Weltkrieg. Eine dritte Wurzel: Die privaten Fernsehanstalten in den USA haben sich stets ein Wettrennen mit dem Kino geliefert. In den 50er Jahren gab es 3D-Filme in den Kinos, und die Anstalten mussten sich wieder was überlegen. Daraus entstand die Idee, auch Spiele fürs Fernsehgerät zu vermarkten.

Heute gibt es nur noch drei relevante Konsolen, zwei kommen aus Japan: Playstation und Nintendo. Wann kamen die Japaner ins Spiel?

Günzel Die amerikanische Spiele-Industrie, insbesondere Atari, war in den 80ern so von ihrem eigenen Erfolg verwöhnt, dass sie nicht mehr auf die Qualität geachtet hat. Das hat dazu geführt, dass sich die Konsumenten hinters Licht geführt fühlten. 1984 brachen die Verkaufszahlen ein. Das hätte das Aus für die Computerspiele sein können. Die Rettung kam aus Japan, nämlich durch Nintendo, ein Unternehmen, das ursprünglich Spielekarten hergestellt hatte. Das brachte Mitte der 80er die Konsole "NES" nach Europa und in die USA mit hochwertigen Spielen wie Donkey Kong oder Super Mario. Nintendo hat sehr darauf geachtet, dass es Spiele mit Figuren sind, mit Sympathieträgern, keine bloßen Filmadaptionen, mit einem sinnvollen Ende, besseren Sounds, Detailverliebtheit. Ohne Nintendo hätten Computerspiele nicht die Bedeutung, die sie heute haben.

Aber warum gerade Japan?

Günzel Dort herrscht eine gewisse Technikaffinität, Spielen hat dort einen sehr hohen Stellenwert, auch das Glücksspiel. Und es gibt eine Vorliebe für ausgefeilte, mythische Welten. Das Jump&Run-Spiel wie Super Mario ist durch japanische Landschaftsmalerei inspiriert. Dort gab es ein anderes Raumverständnis, das eher von Flächen ausging und nicht von Tiefen, wie es bei amerikanischen Spielen der Fall war.

Die Computerspielgeräte wanderten irgendwann vom Wohnzimmer ins Kinderzimmer, weil sie nicht mehr am Fernseher liefen, sondern über einen Monitor. War das die Geburtsstunde des Nerds, der sich in sein Zimmer zurückzieht?

Günzel Das ganz sicher. Es brauchte zunächst schon noch einen Fernseher, aber der Grund, warum die Geräte im Kinderzimmer landeten, war ganz banal: Im Wohnzimmer standen einfach keine Tische, die erforderlich waren, um mit Tastatur und Joystick zu spielen. Deshalb kamen sie naturgemäß ins Jugendzimmer auf den Schreibtisch. Dort war man den elterlichen Blicken entzogen.

Was macht das mit einem Jugendlichen, der plötzlich seine Superhelden steuern kann, anstatt sie nur im Kino zu sehen?

Günzel Darin bestand sicher die Anfangsfaszination, wenn man nun Spiderman oder Superman steuern konnte. Aber letztlich besteht die eigentliche Faszination darin, die Mechanik, das Spiel zu beherrschen. Computerspiele geben einem die Illusion, dass man etwas fast vollständig unter Kontrolle hat. Das hat dann auf einer anderen Ebene eine Superheldenhaftigkeit.

Wie haben Computerspiele langfristig unser Leben verändert?

Günzel Ohne Spiele hätte es sehr viel länger gedauert, Computer in Privathaushalten zu etablieren. Der Computer war immer ein Schreckgespenst gewesen. In der Science-Fiction wollten Roboter die Macht übernehmen. Bei den riesigen Großrechnern war es auch eher so, dass der Mensch ihnen dienen musste als umgekehrt. Damit standen die Chancen sehr schlecht, dass Computer einen Weg in unser Leben finden würden. Computerspiele waren der Türöffner, sie hatten ein freundliches Gesicht und haben uns so zu digitalen Alphabeten erzogen. Nicht zuletzt hat uns der Game Boy darauf vorbereitet, immer ein Gerät bei sich zu tragen. Daran konnte das Handy anknüpfen.

Haben Computerspiele auch negative Entwicklungen befördert?

Günzel Wenn man an die Bankenkrise denkt und die Zocker, die mit virtuellen Beträgen hantiert haben, kann man das zum Teil auch auf eine Prägung durch Computerspiele zurückführen. Wir sollten nicht so tun, als sei alles ein Spiel.

(seda)
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