Gamescom in Köln Der digitale Spielplatz

Köln · Die Messe Gamescom in Köln ist das Gipfeltreffen der Videospiel-Fans. Ab Donnerstag werden wieder mehr als 330.000 Spieler in die Hallen am Rhein strömen. Unser Spieleredakteur ist einer von ihnen.

Cosplayer auf der Gamescom
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Cosplayer auf der Gamescom 2014

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Foto: Ronny Hendrichs

Der August ist die Zeit des Jahres, in der meine Finger vor freudiger Spannung kribbeln. Und das liegt nicht daran, dass sie von Spielen am Joypad oder an der Spiele-Tastatur hervorragend durchblutet sind. Es geht tiefer und reicht weiter zurück. Bis ins Jahr 1986. Das war das Jahr, in dem Nintendo seine - liebevoll als "Brotkasten" titulierte - Konsolen-Premiere in Europa feierte. Mit dem Nintendo Entertainment Systems (NES).

Mein erstes Spiel hieß "Ice Climber": Zwei kleine Eskimos mit den Namen Nana und, kein Witz, Popo erklimmen Eisberge, und sie prügeln mit ihren Pixel-Hämmern auf Yetis und Eisbären mit Sonnenbrillen ein. Sehr simpel, aber es entfachte ein Feuer in mir, eine Leidenschaft und Begeisterung für Videospiele. Und das Gefühl hält bis heute an. Auf dem NES lernten nicht nur Mario und Co. das Hüpfen, eine ganze Generation von Spielern verfiel mit mir dem neuen Medium. Mit Nintendo, Sega und dem Commodore C 64 begann Mitte der 80er der große Aufschwung - zumindest in den Kinderzimmern und auf den Schulhöfen.

Während ich Pixel-Prinzessinnen rettete und mit großen Augen auf die ersten, "bösen" Baller-Spiele wie "Doom" blickte, wurde die öffentliche Diskussion um das Medium in Deutschland mit erhobenem Zeigefinger geführt und drehte sich um den pädagogischen Wert. Der aufziehende gesellschaftliche und später auch wissenschaftliche Diskurs wurde meist von eben diesen Stimmen definiert, die um das Wohlergehen mittlerweile mehrerer Generation junger Daddler besorgt gewesen sind. Und die ziehen heute wie vor 30 Jahren bei solchen Diskussionen mindestens eine Augenbraue hoch. Wissenschaftlicher Diskurs? Wir reden immer noch über Videospiele, oder?

Es ist nicht einfach, Menschen, die Games nur von kurzen Fernseheinblendungen kennen, davon zu überzeugen, dass Videospiele eben mehr sind als nur bunte Bilder auf dem Bildschirm. Noch viel schwieriger ist es, wenn man dieser Aufgabe als zwölfjähriger Pummel-Nerd gegenüber seinen werten Eltern nachkommen muss - wie ich vor 22 Jahren.

Doch das Medium bietet in seinem unzählige Zeilen umfassenden Programm-Code nicht nur Animationen und Spielmechaniken. Ebenso wie in Kino-Filmen und Büchern finden sich in den Spielwelten Tragödien, Satiren und Komödien. Es werden Ideologien oder Religionen geschaffen und ihre nicht immer positiven Folgen analysiert. Die virtuellen Welten stecken voller kultureller Zitate und fordern den Spieler mit immer komplexer werdenden Handlungen.

Der Unterschied zu den klassischen Medien: Ich kann nicht nur eingreifen, ich soll es sogar. Bücher sind gegeben, sie werden nicht, sondern wurden bereits realisiert. Niemand von uns kann das Schicksal von Macbeth verhindern, ebenso wenig wie die Leiden des jungen Werther, wohl aber das Schicksal der bisweilen nicht minder tragischen Helden in einer digitalen Welt. Spieler schreiben ihre eigenen Geschichten oder freuen sich über verschiedene Enden in den Titeln, die an mehreren Stellen die Wahl lassen, wie man vorgeht und welche Entscheidung man trifft. Und wenn man scheitert, gibt man nicht auf. Man versucht es erneut und immer wieder, bis man es geschafft hat, die digitalen Hürden zu überwinden. Das prägt - auch im realen Leben.

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Wer spielt, sieht die Welt mit anderen Augen: Er probiert sich aus und misst sich. Der Drang dazu liegt in unser aller Wesen verankert: seien es Kreuzworträtsel oder das Abzählen von Pflastersteinen, Bürostuhl-Rennen - oder eben auch Videospiele. Die Gamescom bedient diesen tief sitzenden Urinstinkt, von dem Johan Huizinga in seinem prägenden Werk "Homo Ludens'" ("Der spielende Mensch") schrieb: "Kultur wird anfänglich gespielt."

Wer auf der Messe Gamescom unterwegs ist, vergisst das sehr schnell, wenn er von Tausenden Jugendlichen umringt ist, die unbedingt eine Runde des neuesten Ablegers der Fußballsimulation FIFA 16 zocken wollen. Und es ist auch nicht nötig, über die kulturelle Bedeutung zu sinnieren, um vor allem eins zu haben: Spaß am Spiel. Auf der Messe in Köln wird der zelebriert wie kaum an einem anderen Ort: Die Nerds der ersten Stunde wie ich sind längst groß geworden, viele haben mittlerweile Kinder, ich selbst wurde kürzlich Vater. Und viele Jugendliche sind nach mir mit Videospielen groß geworden.

Das Alter aber spielt in Köln keine Rolle. Es ist ein großes Treffen von Gleichgesinnten, ein monumentales Symposium mehrerer Generationen von Spielern. Man versteht sich, weil man spielt. Und das drückt sich auf viele Arten aus. Ins Auge fallen stets die sogenannten Cosplayer: Sie laufen stolz kostümiert als "ihr" Held über die Messe und arbeiten bisweilen mehrere Jahre an ihrem Outfit.

E-Sport-Teams, die in Spielen gegeneinander antreten und sich zum großen Schlagabtausch auf der Gamescom treffen, müssen wie Popstars Autogrammkarten unterzeichnen. Dazwischen sieht man populäre Spieler, die auf der Videoplattform Youtube Hunderttausende Fans haben. Oder Retro-Gamer, die sich voller Nostalgie den 20 oder 30 Jahre alten Titeln widmen - als die Branche noch jung war und jede noch so verrückte Idee von einigen wenigen, wenn nicht sogar nur von einem Entwickler umgesetzt worden war.

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Seit Spiele aber ein Milliarden-Business geworden sind, beherrschen immer wieder Fortsetzungen einen Großteil der Gamescom-Hallen: von "Uncharted 4" über "FIFA 16" (übrigens nicht der 16. Teil, sondern bereits Nummer 23) bis zu "Final Fantasy XV". Die Zahlen hinter den Titeln wachsen mit jedem Jahr. Die Innovationsfreude scheint zu schrumpfen.

Durch den hohen Bekanntheitsgrad sind diese Titel einfach zu vermarkten, doch es zeigen sich bei den Spielen selbst immer größere Abnutzungserscheinungen. Vielleicht werde ich aber auch nur einfach älter.

Doch es weht auch frischer Wind durch die Gamescom-Hallen: Virtual Reality (VR). Dahinter stehen Brillen, die der Spieler aufzieht und die ihn völlig in die digitale Welt ziehen. Die Distanz wie vor dem Fernseher oder Monitor geht verloren. Der Spieler fühlt sich tatsächlich mitten in der Spielwelt. Seit Jahren gilt das bereits als der große Durchbruch. Wirklich geschafft haben das die Virtual-Reality-Brillen bislang aber nicht. 2015 soll nun tatsächlich "das Jahr der VR" sein.

Ich bändige meine Erwartungen: Im besten Fall kann sich die "virtuelle Realität" als weitere Option der visuellen Wiedergabe auf dem Markt behaupten. Im schlimmsten Fall versandet sie bereits nach wenigen Jahren als Gimmick - wie so viele andere Gimmicks auch. Vor 2016 werden die Geräte zudem kaum interessant für Endnutzer. Die gezeigten Spiele haben meist noch Pionier-Charakter und können kaum mit ausgereiften Spielmechaniken als vielmehr dem "Wunder des Neuen" überzeugen.

Und dennoch: Der erste Blick durch eine der vielen in Entwicklung befindlichen VR-Brillen öffnet tatsächlich die Augen. Ganz egal, wie minimalistisch die Grafik dargestellt wird, das Gefühl des "mittendrin Seins" ist einfach überwältigend. Auf der Gamescom kann man mit etwas Glück und viel Geduld in den langen Schlangen einen Blick auf diese Zukunft erhaschen: Sowohl die von Oculus VR entwickelte Oculus Rift, als auch das fest mit der PlayStation-Marke verbundene Project Morpheus sowie die HTC Vive und Microsofts Holo Lens werden auf der Messe in Köln vertreten sein.

Die bunte Welt der Videospiele wird von Daniel Hecht auf unserem Games-Portal ausführlich betreut: Hier finden sie alle Trailer und neuen Infos zum verspielten Medium.

(RP)
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