Köln August Sander – Fotograf für alle Fälle

Köln · Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur in Köln erinnert in einer eindrucksvollen Ausstellung an den vor 50 Jahren gestorbenen Dokumentaristen. Rund 300 Arbeiten belegen sein Schaffen vom Porträt bis zur Landschaft.

Jeder glaubt August Sanders fotografisches Werk zu kennen, seine Porträts, in denen sich die Porträtierten selbst ins Bild zu setzen scheinen, seine Ansichten von Köln und vielleicht auch seine Sardinien-Bilder. Doch ein Blick ins Ausstellungsverzeichnis dieses 1876 in Herdorf bei Altenkirchen geborenen, vor 50 Jahren in Köln gestorbenen Ahnherrn der modernen Fotokunst erweist, dass man Sander bislang fast ausschließlich in Ausschnitten sah. Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur im Kölner Mediapark zeigt jetzt den ganzen Sander – ein Erlebnis.

Man muss Zeit mitbringen, will man die mehr als 300 Schaustücke studieren. Das sind beileibe nicht nur Fotografien. Rings um eine Fototapete, auf der die "Lichtbildwerkstatt August Sander" abgebildet ist, haben die Organisatoren allerlei Gerätschaften aus den 20er und 30er Jahren ausgebreitet – eine klobige Kamera, altertümliche Objektive, zeitgenössisches Mobiliar. Diese Umgebung stimmt den Besucher bereits darauf ein, dass ihn in der Ausstellung keine Schnappschüsse erwarten. Nichts liegt weiter auseinander als der heutige Fotohandy-Kult und die Kultur der zehn-, 20-sekündigen Belichtungszeiten des August Sander. Bei Sander gibt es keinen Zufall, alles ist arrangiert, und erhellt werden die Szenen fast ausschließlich durch natürliches Licht.

Sander gilt heute als einer der bedeutendsten Fotografen des 20. Jahrhunderts, als Schwarzweiß-Künstler der Neuen Sachlichkeit. Das lässt leicht vergessen, dass er zunächst ein fotografischer Handwerker war, der sich dann aber so in sein Metier vertiefte, dass am Ende auch Kunst daraus erwuchs. In den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts gründete Sander ein Fotoatelier in Linz an der Donau. Er heiratete, wurde vierfacher Vater und siedelte nach Köln über. Im Ersten Weltkrieg diente er im Landsturm.

Zu Beginn der 20er Jahre lernte er die Künstlergruppe "Kölner Progressive" kennen, fotografierte sie und ihre Werke und weitete seine Arbeit auch auf die Dokumentation von Musik, Literatur und Baukunst aus. Von Köln war es nicht weit zum Westerwald, seiner Heimat, wo ihn noch viele kannten und schätzten. So reiste Sander regelmäßig aufs Land, um dort Auftragsarbeiten auszuführen: Familienporträts vor allem, ähnlich wie man sie aus den Fotoalben der Urgroßeltern kennt, nur präziser, besser arrangiert, mit durchdachter Lichtführung. Die Schau beginnt mit Porträts von Familienangehörigen und Bekannten, führt dann rasch zu den Auftragsarbeiten in Gestalt von Hochzeitsfotos und Gruppenbildern und spart auch das Thema Geld nicht aus. Ein Faltblatt gibt Auskunft: "für erstes 18 x 24 Bild nach Wahl von 2-3 Aufnahmen Mk. 32,50, jeder weitere Abzug Mk. 12,50."

Solche Arbeit war eine sichere Quelle zur Finanzierung der Familie, das Standbein; die Kunst war das Spielbein. Allerdings verstand Sander es bald auch, mit fotografischer Kunst Geld zu verdienen. Je weiter man die Ausstellung durchstreift, desto stärker tritt dieser Kunstcharakter hervor. Sanders Porträts sind stets mehr als das Konterfei eines Einzelnen; die Abgebildeten verkörpern zugleich eine soziale Klasse, einen Berufsstand, eine Geisteshaltung. "Der Notar" erscheint da ebenso typisch wie der "Evangelische Geistliche", der Musikverleger ebenso wie der Pianist oder die stolzen Mitglieder eines Fußballvereins – alle schauen voller Selbstbewusstsein in die Kamera, auch in vollem Bewusstsein, dass sie fotografiert werden.

August Sander war ein Dokumentarist des Landlebens ebenso wie des Großstadtflairs. Er beobachtete Bauern ebenso wie Industriearbeiter. Und wenn er Bauwerke fotografiert, gewinnt man den Eindruck, dass er den nüchternen Kuben der Architektur mit einem betont nüchternen fotografischen Blick gerecht werden will.

Während des Zweiten Weltkriegs verlegte er seinen Lebensmittelpunkt zurück in den Westerwald. Dort überstanden seine wichtigsten Fotografien und Negative die Zeit. Nach dem Krieg begann er eine umfangreiche Bilddokumentation über das zerstörte Köln. Schon früher hatte er seine Wahlheimat dokumentiert – in Fotografien, die heute maßgeblich unser Bild des alten Köln bestimmen. Hohenzollernbrücke und Heumarkt – alles ist noch wiederzuerkennen, auch die Eindrücke, die er rund um das Siebengebirge gewann. So hat Sander in rheinischen Ausschnitten das 20. Jahrhundert überliefert.

Fotografen wie Bernd und Hilla Becher haben ihm viel zu verdanken, vermutlich auch der Maler Konrad Klapheck. Eine staksige Maschine in einer Werkhalle wirkt auf einer Fotografie von Sander, als sei es zu einem bedeutungsschwangeren Gemälde von Klapheck nur noch ein kleiner Schritt.

(RP)
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