Friedenspreis des Deutschen Buchhandels Jaron Lanier: "Wir leben in gruseligen Zeiten"

Frankfurt/Main · Mit 13 ging er an die Uni. Erst studierte er Mathe, dann auch Informatik. Heute ist Lanier entschiedener Kritiker der Datensammelwut im Internet, die für ihn totalitäre Züge hat. Der Friedenspreis des Buchhandels hat Lanier als humanistischen Mahner heute geehrt.

Jaron Lanier mit Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet
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Der US-Informatiker Jaron Lanier hat am Sonntag in der Frankfurter Paulskirche den diesjährigen Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten. In seiner Ansprache rief der 54-Jährige zu einem neuen Humanismus auf. Künstliche Intelligenz könne nie mehr sein als ein technisches Hilfsmittel, da der Mensch immer über dem Computer stehe. Das Internet dürfe nicht zur einzigen Plattform der Kommunikation werden, mahnte Lanier und sagte: "Das Buch ist ein Bauwerk menschlicher Würde."

In seiner Laudatio sagte der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz (SPD), Lanier erhalte den Friedenspreis "stellvertretend für alle, die diese wichtige Debatte über die digitale Zukunft führen". Der Preisträger stehe in einer großen humanistischen Tradition und erinnere daran, dass der Mensch niemals zum Objekt degradiert werden dürfe.

Kritiker der digitalen Wirtschaft

In seinem in diesem Jahr auf Deutsch erschienenen Buch "Wem gehört die Zukunft?" bezeichnet er sich selbst als einen "digitalen Idealisten". Tatsächlich hat Lanier viele Berufe: Informatiker, Komponist, Instrumentensammler, Dozent und Buchautor.

Auf der Frankfurter Buchmesse rief er zur Verteidigung humanistischer Werte auf. Die Auszeichnung mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels biete ihm die Chance, seinen Ideen für eine gerechtere Internet-Wirtschaft zu einer größeren Verbreitung zu verhelfen, sagte er vor der Preisverleihung am Sonntag.

Lanier kritisiert in scharfer Form das Geschäftsmodell von Internet-Unternehmen wie Google und Facebook, die massenhaft persönliche Daten von Internet-Nutzern in aller Welt sammeln und die damit verbundene Reichweite für Werbung nutzen. "Informationen sind Macht", sagt Lanier. Wenn ein Staat mit den Daten seiner Bürger zu viel Macht erhalte, werde die Demokratie untergraben. In Deutschland erinnere das Beispiel der DDR daran, wie stark eine zentralisierte Informationsmacht in das Leben der Menschen eingreife.

"Wir leben in gruseligen Zeiten", sagt Lanier. Wer seine Daten Internet-Diensten wie Google und Facebook kostenlos überlasse, trage dazu bei, dass sich der Reichtum in den Händen weniger Milliardäre konzentriere. Zugleich werde die breite Mittelschicht der Gesellschaft geschwächt. Dies erinnere ihn an die Kolonialzeit, als die Ausbeutung von Rohstoffen in neu besiedelten Ländern den dort lebenden Menschen keinerlei Nutzen gebracht habe.

"Wir brauchen eine neue Art von Balance", sagte Lanier der Nachrichtenagentur dpa. Er plädiert für die schrittweise Einführung eines neuen Modells der Internet-Wirtschaft, bei dem die privaten Urheber von Informationen für jeden Aufruf ihrer Daten mit Kleinstbeträgen vergütet werden sollen.

Der Mahner aus dem Silicon Valley

Lanier wurde am 3. Mai 1960 in New York geboren. Seine Mutter floh vor der Verfolgung der Nazis aus Wien, die Familie seines Vaters kam aus der Ukraine. Schon mit 13 Jahren schrieb er sich zu Mathematik-Vorlesungen an der Universität des US-Staates New Mexico ein.

Von 1983 bis 1990 war Lanier am Labor der Computerfirma Atari tätig und beschäftigte sich dort unter anderem mit einem Datenhandschuh zur Interaktion mit virtueller Realität - ein Begriff, dessen weite Verbreitung auf Lanier zurückgeführt wird. Das Eintauchen in digitale Welten beschäftigte ihn später auch bei Silicon Graphics, ehe er sich von der Arbeit für Unternehmen abkehrte und an der Columbia University in New York zu forschen und zu lehren begann.

Die Software-Entwicklung überlasse er inzwischen den Jüngeren, sagte Lanier in Frankfurt. Er sei zurzeit mit einer Vielzahl von Projekten beschäftigt. In der Forschungsabteilung von Microsoft ist er an der Entwicklung von Anwendungen zur Erkennung von Körperbewegungen beteiligt.

Die zweite Heimat Laniers ist die Musik. Er komponiert und trat zusammen mit Künstlern wie Philip Glass auf. Seine Liebe gilt vor allem seltenen Blas- und Streichinstrumenten aus Asien. So brachte er zur Buchmesse eine uralte Bambusholzflöte aus Laos mit, eine Khaen.

(dpa)
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