Düsseldorf Der neue Bestseller des Juristen Schirach

Düsseldorf · 13 Essays versammelt Strafverteidiger Ferdinand von Schirach in dem Band "Die Würde ist antastbar".

Ferdinand von Schirach ist ein Sonderfall in der Literaturszene. Der in Berlin tätige Strafverteidiger, Jahrgang 1964, hat erst spät begonnen, zu schreiben. Nur noch selten ist er in seiner Kanzlei anzutreffen, in Hauptverhandlungen tritt er nicht mehr auf. Seit 2009 sein erster Band mit Kurzgeschichten ("Verbrechen") erschienen ist, hat er einen Erfolg nach dem anderen verbuchen können. "Der Fall Collini" — sein erster Roman — wurde in 30 Sprachen übersetzt und international ein Bestseller. Mehrere Literaturauszeichnungen hat von Schirach erhalten, u.a. den "Kleist"-Preis. 2013 erschien sein Roman "Tabu", ein ziemlich verrückter Krimi aus der Kunstszene, der bei einigen Literaturkritikern auf Unverständnis traf. Und doch entfaltete gerade dieser Roman beim Lesen eine Sogwirkung, die dem Autor nur recht sein kann. Denn auch von Schirach sagt: "Das Schreiben ist ein Sog — manchmal rauschhaft".

Nun ist ein Band mit Essays erschienen, "Die Würde ist antastbar" heißt das Buch, das auf Platz zwei der "Spiegel"-Bestsellerliste steht. In seinem siebten Werk sind es keine Rechtsfälle, die er in anregende Literaturstücke verwandelt, sondern es sind Analysen, Bewertungen und persönlich gefärbte Ansichten. Alle 13 Stücke sind zwischen 2010 und 2013 im "Spiegel" erschienen. Nun also dieses Büchlein, das auch als Hörbuch vorliegt — gesprochen und intoniert vom Autor selbst: Eine Reise durch die Zeitgeschichte ist es, eine kühle Abrechnung mit den Protagonisten der Politik und am Ende die Preisgabe einer empfindsamen Innensicht.

In seiner schnörkellosen Sprache erklärt der Autor die provozierende Titelthese: "Die Würde wird dauernd angetastet". Er führt aus, warum Kanzlerin Merkel sich 2011 nicht öffentlich hätte freuen dürfen über die Tötung des Terroristen Osama bin Laden. Von Schirach beruft sich auf den Begriff der Würde: dass ein Mensch niemals zum bloßen Objekt staatlichen Handelns gemacht werden darf und dass der Staat ein Leben niemals gegen ein anderes aufwiegen kann. Kein Mensch kann wertvoller sein als ein anderer — das gilt für die Abwägung bei schwierigen Entscheidungen im Falle von Transplantationen, von Flugzeugentführungen oder auch bei dem Fall der "Mignotte"-Havarie, 1884 vor dem Kap der Guten Hoffnung, als Seeleute zu Kannibalen wurden, um nicht zu verhungern. "Die Rechte der Menschen taugen nicht, wenn sie sich nicht auch in den dunklen, in den schwierigen Tagen bewähren", schreibt von Schirach.

Die Feminismusdebatte nimmt er weiter zum Anlass, Vorkämpferin Alice Schwarzer gegen Ex-Familienministerin Kristina Schröder auszuspielen. Ohne Schwarzer wäre Schröder gar nicht ins Amt gekommen, schreibt er. Eins zu null für sie.

Von Schirach bezieht Stellung, berichtet über Wahrheit und Wirklichkeit bei den Indizienprozessen gegen die mutmaßliche Mörderin Verena Becker oder den mutmaßlichen Vergewaltiger Jörg Kachelmann. Nicht als Jurist, sondern als toleranter Bürger argumentiert er gegen ein Nichtrauchergesetz, das ein Fehlverständnis von Demokratie offenbare. Und das erste und einzige Mal erklärt er, wie er mit seiner Familiengeschichte, seinem Namen und Großvater und Reichsjugendführer Baldur von Schirach umgeht.

Glänzend ist all dies aufgeschrieben, intensiv und anregend wirkt es.

Info Ferdinand von Schirach, "Die Würde ist antastbar", Piper, 24.90 Euro

(RP)
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