Hamburg Hellmuth Karasek – der nette Kritiker

Hamburg · Morgen feiert der Hamburger Literatur- und Filmkritiker seinen 80. Geburtstag. Berühmt wurde er durch seine Fernseh-Auftritte im "Literarischen Quartett". Er versuchte sich aber auch als Romancier – mit zweifelhaftem Erfolg.

Seine Jacken sind ihm immer ein bisschen zu eng wie bei einem Menschen, der nicht besonders gut auf sich und seine Kleidung achtet. Auch wirkt er oft verschwitzt, dann schnoddert er die Worte noch, als seien nicht nur seine Auftritte Nebensache, sondern auch seine Worte. Genau so ist uns Hellmuth Karasek praktisch seit Urzeiten bekannt; und dass er morgen seinen 80. Geburtstag feiern kann (dies aber wie so viele Intellektuelle nicht machen wird), ist ein weiteres, faktisches Indiz für seine Beharrlichkeit als Kritiker-Instanz.

Jedoch verdankt er seine Berühmtheit oder wenigstens große Bekanntheit auch einem Freund, dem kürzlich verstorbenen Marcel Reich-Ranicki. Denn mit dem "Literarischen Quartett" durfte er zwölf Jahre lange seine Literatururteile im Fernsehen vor einem Millionenpublikum hinschnoddern. Ein Trampolin habe ihm Reich-Ranicki damit bereitet, hat er uns einmal erzählt – aber: "Springen musste ich selber."

Und Karasek ist gesprungen, vielleicht nicht immer mit Rekordweite, aber doch immer wieder und wieder. Ellenlang ist seine Publikationsliste, darunter auch Romane von mäßiger Qualität. Einer davon widmete sich gar seinem früheren Arbeitgeber, dem "Spiegel". Demzufolge heißt das 1998 erschienene Werk "Das Magazin", das satirisch sein wollte und eine Art Schlüsselroman sein sollte, am Ende aber wegen seiner literarischen Dürftigkeit keinen großen Nachhall hatte.

Vielleicht ist das auch eine von Karaseks großen Schwächen – seine Neigung, ach was: seine große Lust an Tratsch und Klatsch. Es gab und gibt also kaum etwas, wozu er nicht seine Meinung abgab. Das sorgte zwar für eine beträchtliche Präsenz in der Öffentlichkeit, trug ihm mit der Zeit aber auch den Makel einer gewissen Beliebigkeit ein. Kritiker-Konkurrentin Elke Heidenreich nannte er "furienhaft"; den "Niedergang" der SPD begleitete er mit Wehmut und orakelte sogleich, ob erstens nicht auch die Tage der CDU gezählt seien und ob wir zweitens überhaupt noch Volksparteien bräuchten. Grenzwertig war dann im vergangenen Jahr sein Auftritt bei Günther Jauch zur damals erregt geführten Geschlechterdebatte. Seinen Beitrag über angeblich aufreizende Frauenkleidung tarnte er zwar mit einem Zitat, doch blieb das ungute Gefühl zurück, dass sich darin auch seine Meinung spiegelt. Karasek ist zu vielen Talk-Shows und noch mehr Themen eingeladen worden. Von seinen Auftritten versprach man sich einen intellektuellen Mehrwert. Aber das war in den meisten Fällen ein Missverständnis. Den unerwarteten Blickwinkel auf semipolitische Themen konnte er – wenn überhaupt – nur selten bieten.

Das liegt weniger an seinem Verstand als vielmehr an seinem Naturell. Weil Karasek unter den Kritikern eher zu den Erzählern und Plauderern gehört, zu den Versöhnern und netten Gerechten. Er ist nie verletzend und spielt gerne die Rolle des guten Onkels. Schon als Student wollte er seine Wirtinnen beim Auszug stets kritisieren. "Aber als ich meine Sachen packte, habe ich nie meine Meinung gesagt. In dieser Situation bin ich jetzt auch mit meinem Leben", sagte er uns. Aber genau darum war er so wichtig fürs Quartett und für Reich-Ranicki; er war das exzellente Pendant zum gnadenlosen Literaturpapst.

Karaseks Stärke liegt in der Breite seines Wissens. So agierte er in der Kritikerszene als eine Art Doppelspion. Zwar ist er ein profunder Kenner und Wertschätzer der Literatur, seine Leidenschaft aber gilt dem Film. Billy Wilder hat er bei Drehaufnahmen ebenso besuchen und erleben können wie auch Woody Allen. Seinen Filmbüchern – darunter auch Kompendien wie "Die 100 schönsten Filme" – wird allemal eine größere Haltbarkeit beschieden sein als seine Fiktionen.

Was Karasek mit Reich-Ranicki zudem verband, waren die Lebenserfahrungen unter Diktaturen. Hellmuth Karasek hat seine Kindheit unter Hitler, seine Jugend in Ostdeutschland unter Stalin verbringen müssen. Das hat ihn, der als Schüler gar eine Erziehungsanstalt der Nazis besuchte, skeptisch werden lassen gegenüber Ideologien, auch linken. Die Linken seien zwar die netteren Leute, hätten sich aber verrannt, sagt er. Früh trat er für eine Wiedervereinigung ein und begrüßte den Golfkrieg. Schon vor zehn Jahren hat er seine Autobiografie geschrieben unter dem erschreckend kalten Titel "Auf der Flucht". Von dieser Heimatlosigkeit sei eine gewisse Unruhe und Unbeständigkeit geblieben. Trotzdem ist er Freund des Lebens, und auf die Frage, wie er einmal sterben möchte, antwortete er: "Am liebsten gar nicht." Aber wenn man schon sterben muss, sollte man seiner Meinung nach das Leben bis zur Neige auskosten und austrinken. Mit einer Einschränkung: "Ich weiß aber nicht, ob bis zur bitteren Neige."

(RP)
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