Düsseldorf Im Kino: RAF als Familienroman

Düsseldorf · Vor drei Wochen hatte dieser Film Premiere bei der Berlinale, und seither wird über "Wer wenn nicht wir" von Andres Veiel diskutiert. Es geht um die RAF, um Baader und Ensslin, also versammeln sich die Souvenirhändler des Deutschen Herbstes zur Séance. Die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" lud den Regisseur zum Gespräch mit dem RAF-Geschichtsschreiber Stefan Aust, und gemeinsam suchte man nach Gründen, wie es damals dazu kommen konnte. Die alternative "Tageszeitung" richtete ein Diskussionsforum im Internet ein, und die früheren Verleger des linken März-Verlages, Barbara Kalender und Jörg Schröder, klagten in ihrem Blog: Alles ganz schlimm, denn so wie in der "geklitterten Schmonzette" war es nicht! Die Einlassungen brachten wenig Neues, sie festigten indes die Erkenntnis, dass die Jahre des Terrors eine Wunde hinterlassen haben, die weiter schmerzt.

Wie sonst soll man sich erklären, dass mit jeder Neu-Inszenierung die Republik noch einmal zum Vibrieren gebracht wird – etwa nach Margarethe von Trottas "Die bleinerne Zeit" (1981) und zuletzt durch Bernd Eichingers und Uli Edels "Baader Meinhof Komplex" (2008)? "Wer wenn nicht wir" läuft morgen an, nun kann jeder selbst überprüfen, ob das Kino die Geschichte der RAF noch einmal neu erzählen kann, aufschlussreicher womöglich. Veiel hat das Drama als Familienroman eingerichtet. Er beschränkt sich auf die Jahre bis 1968, bis zum Brandstifterprozess. Er zeigt Gudrun Ensslin (Lena Lauzemis), die Pfarrerstochter, und Bernward Vesper (August Diehl), den Sohn des Nazidichters Will Vesper; er bringt ihre Liebesbeziehung ins Bild, die von 1962 bis '68 währte und einen Sohn hervorbrachte. Dann kommt Baader (Alexander Fehling) dazu, dessen Darstellung hinter neuesten Erkenntnissen zurückfällt: Er ist nicht der stotternde Macker, als der er auf den Stammheim-Tondokumenten zu erleben ist, sondern ein glamouröser Schal-Träger mit harter Faust. Veiel filmt geradlinig, konventionell, im Mittelpunkt seiner Psychologisierungen steht die Prägung der späteren Terroristen durch ihre Elternhäuser sowie deren Deformierung durch Nazi-Herrschaft und Krieg.

"Wer wenn nicht wir" ist zu intellektuell, um Leben abbilden zu können. Seine Dialoge hören sich wie abgelesen an, die Hauptdarsteller wirken vor allem gegen Ende verkleidet. Seine Figuren bleiben maskiert, und Veiel gelingt hier nicht, was etwa seine Dokumentation "Black Box BRD" auszeichnet: den Moment einzufangen, in dem die Maske fällt. Die Menschwerdung historischer Gestalten. Veiel hat einen Ideenfilm gedreht, ständig sagt er dem Zuschauer: "Guck mal!" Ständig bittet er: "Sag aha." Die Szenen haben nie Fühlung mit der Gegenwart, sie wirken, als habe sich das unter einer Glasglocke zugetragen. Vielleicht montiert Veiel deshalb Doku-Szenen von Schah-Besuch und Vietnam-Krieg dazu, um so Wirklichkeit einzuholen.

Zehn Minuten von Edgar Reitz' Filmreihe "Die zweite Heimat" (1992) vermitteln einen authentischeren Eindruck von jenen Jahren und ihrem Lebensgefühl. Und wer das Thema von Projektionen befreit und mit einer heute relevanten Fragestellung verbunden wissen möchte, der lese Ulrich Peltzers Roman "Teil der Lösung" (2007): ein Liebespaar in Berlin, der Frontstadt eines neuen globalen Konflikts, dem Brennpunkt aktueller Konflikte. Der Generationenbruch am linken Rand, aber nicht als Kulissenschieberei, sondern hyperrealistisch, rigoros, multiperspektivisch und temporeich. Kostet als Rowohlt-Taschenbuch so viel wie eine Kinokarte.

(RP)
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