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Gastbeitrag "In seinen Augen blitzte oft der Schalk"

Frankfurt · Ignatz Bubis war ein Versöhner und engagierter Bürger. 1992 wurde er Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland. Als Immobilienkaufmann in Frankfurt zog er Kritik und Häme auf sich. Am Mittwoch wäre er 90 geworden. Eine Würdigung.

Ignatz Bubis wäre am 12. Januar 90 Jahre alt geworden. Nie habe ich einen Mann kennengelernt, der dermaßen viel Menschlichkeit, Klugheit und Humor in seiner Persönlichkeit vereinigte. In seinen Augen blitzte oft der Schalk. Bubis lauerte darauf, den nächsten Witz zu erzählen oder endlich einen der wenigen jüdischen Scherze oder Anekdoten zu erfahren, die er noch nicht kannte. Dann setzte sein meckerndes Lachen ein, das alle mitriss.

Der Frankfurter gab nicht vor, ein Heiliger zu sein, dazu hatte er zu viel durchgemacht. Gelegentlich packte Bubis der Zorn, er konnte verletzend werden. Doch wie jeder Choleriker hatte er nach wenigen Momenten seine Wut überwunden. Danach konnte man wieder mit ihm debattieren und lachen. Doch jeder, der Ignatz kannte, wusste, dass er für ihn da sein würde, wenn man ihn brauchte.

Die Loyalität gegenüber seinen Mitmenschen war auch die Frucht eines atemberaubenden Lebens. Der 1927 in Breslau zur Welt gekommene Junge zeigte früh eine rasche Auffassungsgabe. Doch eine nennenswerte Schulbildung war ihm nicht vergönnt. 1933 übernahmen die judenfeindlichen Nazis in Deutschland die Macht. Kurz darauf floh Familie Bubis nach Polen. Vergeblich. 1939 eroberte die Wehrmacht das Land. Die Juden wurden zu rechtlosen Wesen degradiert. Familie Bubis wurde ins Ghetto gezwungen - ein Parkplatz auf dem Weg zur Vernichtung. Sein Vater und seine Geschwister wurden ermordet, Ignatz als Sklavenarbeiter in eine Rüstungsfabrik deportiert, wo der Halbverhungerte im Januar 1945 von der Roten Armee befreit wurde.

Doch die Polen verweigerten den überlebenden Juden zumeist die Rückkehr in ihre Häuser. Die Hebräer wurden bedroht, viele misshandelt oder umgebracht. Sie mussten erneut fliehen, vielfach ins Land der Täter. Einer von ihnen war der gerade 18-jährige Ignatz Bubis. Er schlug sich wie viele damals auf dem Schwarzmarkt in der Ostzone durch, geriet ins Visier der Sowjets und musste erneut fliehen. Nach einer Odyssee durch Europa landete er mit seiner Frau Ida schließlich 1956 in Hessen. "Wo immer ich war, ich kam von Deutschland nicht los", sagte er mir.

Ende der 60er Jahre war Ignatz Bubis einer der erfolgreichsten Immobilienkaufleute Frankfurts. Doch der Abriss der alten Villen war unpopulär. Es gab Widerstand.

Rainer Werner Fassbinder schrieb das Stück "Der Müll, die Stadt und der Tod". Bubis meinte sich in der Hassfigur des gierigen jüdischen Immobilienspekulanten zu erkennen. Er protestierte.

Unterdessen war er Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Frankfurts geworden. Er war stets für jeden - Juden wie Nichtjuden - erreichbar. "Not hält sich nicht an Bürostunden", erläuterte er mir. "Wenn mich jemand braucht, muss ich für ihn da sein."

1992 wählte ihn der Zentralrat der Juden in Deutschland zu seinem Vorsitzenden. Als ich ihn zu seiner Haltung gegenüber seiner deutschen Heimat ansprach, zögerte Bubis. Rasch wurde er zu einem der populärsten Bürger dieses Landes. In den Medien war er schier allgegenwärtig. Seine klare Haltung und Sprache, seine Natürlichkeit nahm die Menschen für ihn ein. 1993 befürworteten viele die Wahl von Ignatz Bubis zum Bundespräsidenten. "Dieses Land ist für ein jüdisches Staatsoberhaupt noch nicht reif", ahnte Bubis und behielt leider Recht. Als der Schriftsteller Martin Walser Jahre später davor warnte, dass die Juden die "Moralkeule" schwingen würden, stand Bubis mit seiner Kritik allein. Das verbitterte ihn. Doch unverdrossen setzte Bubis sein Wirken fort. Vernachlässigte darüber seine Geschäfte.

Als ich im Sommer 1999 erfuhr, Bubis sei schwer erkrankt, meldete ich mich umgehend bei ihm. Er gab vor, ihm gehe es "besser", zugleich bat er mich zu einem Interview in sein Haus. Er wünschte sich "ein ausführliches Gespräch". Ich lud den "Stern"-Journalisten Michael Stoessinger dazu ein. Zunächst erschrak ich. Bubis war offensichtlich dem Tod geweiht. Doch sein Geist war klar wie stets.

Fünf Stunden lang berichtete er von seiner Verbundenheit mit Deutschland, aber auch von seinen zahllosen Rückschlägen. Immer noch sahen ihn selbst Politiker als Fremden an. Er bekam zu hören, Israel sei seine Heimat, der dortige Präsident sein Staatsoberhaupt. Habe seine Arbeit nicht geholfen, wollte Stoessinger wissen. "Ich habe nichts, fast nichts erreicht", zog Bubis seine Lebensbilanz. Das war nüchtern und ehrlich. Wenige Wochen später starb er. Hochgeehrt, doch seine Liebe zu Deutschland war kaum erwidert worden - auch wenn er viel Verständnis weckte. Ein typisches deutsch-jüdisches Schicksal. Man denke nur an Heinrich Heine.

Unser Gastautor Rafael Seligmann wurde 1947 in Tel Aviv geboren und ist deutscher Schriftsteller, Publizist, Politologe und Zeithistoriker.

(RP)
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