Erfolgreich ohne Examen Studienabbrecher: Persönlichkeit statt Fachidiot

München/Hannover (rpo). Wer sein Studium abbricht, kann durchaus Karriere machen. In der Welt der Reichen und Schönen gibt es viele Beispiele für erfolgreiche Studienabbrecher. Günther Jauch und Anke Engelke sind nur zwei Karrieremenschen ohne Examen. Nach Einschätzung von Experten haben Studienabbrecher und Langzeitstudenten immer noch gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

Es sei unbestritten, dass ein zu langes oder gar abgebrochenes Studium heute oftmals ein Hindernis bei der Berufswahl ist, sagt Christine Öttl, Autorin mehrerer Bücher zu Bewerbungs- und Karrierethemen aus München. So muss ein Arzt etwa ein Medizinstudium abgeschlossen haben, und Richter kann nur jemand werden, der sein Jurastudium beendet hat. In vielen anderen Bereichen schauen Arbeitgeber aber nicht allein auf das Abschlusszeugnis.

Wie gut man sich als Studienabbrecher für einen Beruf eignet, liegt nicht zuletzt an vorhandenen Talenten und Zusatzqualifikationen. "Unternehmen brauchen Persönlichkeiten, keine Fachidioten", so Christoph Anz von der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) in Berlin. Ein zügig und gut abgeschlossenes Studium sei zwar ein wichtiger Faktor bei Bewerbungen. Fremdsprachenkenntnisse, praktische Erfahrungen und soziales Engagement könnten aber die Erfolgsaussichten durchaus erhöhen. Es komme darauf an, über den Tellerrand zu schauen, sagt Anz. So werde die Bedeutung von Auslandserfahrung häufig unterschätzt.

Das Großunternehmen Siemens zum Beispiel setzt in der Auswahl seiner Bewerber besonders auf vielseitige Sprachkenntnisse. Die Bewerber um eine Einstellung bei Siemens werden nach dem jeweiligen Profil des gewünschten Berufsfeldes ausgewählt, erklärt Siemens-Sprecher Michael Scheuer in München. Auch hier sei die Persönlichkeit maßgeblich, nicht der Studienabschluss. "Es gibt also kein Verbot für Studienabbrecher, sich um eine beliebige Stelle bei Siemens zu bewerben", sagt Scheuer.

25 Prozent brechen ab

In manchen Fällen könnten sogar Führungspositionen von Studienabbrechern erreicht werden, da viele Unternehmen Praktiker bevorzugen, erklärt Christine Öttl. Dennoch hat ein Studienabbruch für den Betroffenen oft den Beigeschmack einer Niederlage. "Der Studienabbruch bleibt einfach eine Fehlinvestition von persönlicher Lebenszeit und Lebenskraft", sagt Ulrich Heublein, Projektleiter des Hochschul-Informations-Systems (HIS) in Hannover. Derzeit brechen jährlich etwa 25 Prozent aller Studienanfänger eines Jahrgangs ihren universitären Werdegang ab.

Ungefähr die Hälfte der frühzeitigen Abbrecher fasst diesen Entschluss vor dem vierten Semester. Damit haben die Abbrecher noch genügend Gelegenheit, sich umzuorientieren, so Heublein. Es gibt aber auch immer noch viele Studenten, die ihre wissenschaftliche Laufbahn erst weit nach dem siebten Semester aufgeben. Zu den Hauptgründen für einen Abbruch zählt laut einer Studie des HIS die berufliche Umorientierung von der Theorie zur Praxis.

Gründe für den Abbruch

Dies ist meistens der Fall, wenn der Student sich mit seinem Studienfach und den damit verbundenen Berufsaussichten nicht identifizieren kann. "Aber auch ein gutes Job-Angebot kann die Prioritäten verändern", so Heublein. Der zweithäufigste Grund ist Geldmangel. Häufig finanzieren Studenten ihr Studium durch Nebenjobs. Müssen sie sehr viel arbeiten, bleibt für das Studieren kaum noch Zeit. Diese beiden Aspekte sind für beinahe ein Drittel aller Studienabbrecher ausschlaggebend.

Seltenere Gründe für einen Studienabbruch sind Krankheiten oder familiäre Anliegen wie etwa Schwangerschaften. Die überwiegend von Frauen belegten sprach- und kulturwissenschaftlichen Fächer weisen die höchsten Abbruchzahlen auf. In den Ingenieurwissenschaften brechen 30 Prozent aller - meist männlichen - Studenten verfrüht ab. Bei Jura-Studenten treten derartige Probleme oft erst in der Examensphase auf, sagt Ulrich Heublein. Auch wegen Gebühren in einigen Bundesländern ziehen viele Studierende den Abbruch einem Langzeitstudium vor.

Dennoch rät Christine Öttl den bereits länger Studierenden, "die Zähne zusammenzubeißen" und bis zum Abschluss durchzuhalten. Ein langes Studium kann in späteren Bewerbungen sogar positiv ausgelegt werden. Disziplin, Gewissenhaftigkeit oder Durchhaltevermögen könne der Bewerber damit zu erkennen geben. "Weder Langzeitstudenten noch Studienabbrecher sollten vor möglichen Arbeitgebern ihre Mängel verstecken", sagt Christoph Anz. Wichtig sei für den Studenten, überzeugend begründen zu können, inwiefern er von einem langen oder abgebrochenen Studium profitieren konnte.

(gms)
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