Wissenschaft im Zwielicht Angst vor den Stammzellen

Vier Jahre nach der Isolation der ersten embryonalen Stammzellen des Menschen wurde ihre Verwendung bereits eingeschränkt. Ein Überblick über die enge Verknüpfung eines noch jungen Forschungszweigs mit dem Gesetz.

Stammzelle: Was ist das?
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Foto: ddp

Die Kritik an der Stichtagsregelung ist so alt wie die Regelung selbst. Die Tinte auf dem Papier war noch nicht trocken, da zweifelte der Vorsitzende der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) an der Tauglichkeit. Die Forschung hierzulande werde eingeschränkt, deutschen Wissenschaftler drohe gar eine massive Strafe, selbst der Gang ins Gefängnis sei möglich, warnte Ernst-Ludwig Winnacker im August 2002.

Sein Appell blieb ungehört: Wenigstens für Forschungsprojekte mit Wissenschaftlern aus dem Ausland solle man deutschen Forschern doch Straffreiheit zusichern. Diese rechtliche Grauzone wurde nie ausgeleuchtet. Der neue Straftatbestand bleibt bisher in der Staatsanwaltschaft ohne Akten. Sei es, weil seriöse Wissenschaftler anders, als manche Schauerromane glauben machen, sich in Deutschland an die Gesetze halten. Sei es, weil einige von ihnen das Land verließen. Ob sie getrieben wurden von der Gesetzeslage oder gelockt von besseren Forschungsbedingungen, weiß man nicht.

Es scheint, als habe die deutsche Forschung mit der Stichtagsregelung leben gelernt. 25 Anträge auf Verwendung von embryonalen Stammzellen sind mittlerweile vom Robert-Koch-Institut genehmigt worden. Ein Zeichen, dass Forschung ohne die vermeintlichen Wunderzellen eben doch nicht geht. Oliver Brüstle erhielt im Dezember 2002 die erste Genehmigung, der Münsteraner Hans Schöler vor gut einer Woche die bisher letzte. Schlagzeilen macht das nicht mehr. Es ist Alltag.

Griechenland, Israel, die USA und Schweden haben sich als Lieferanten etabliert. Für das Angebot an Zellen ist längst Ernüchterung eingetreten. 65 verschiedene Zelllinien wurden früher auf der maßgeblichen Liste des US-Gesundheitsinstitutes aufgeführt, heute sind es noch 20. Welche Bedingungen die Forscher akzeptieren, wenn sie die Lieferdokumente ihrer Bestellung unterschreiben, bleibt ein Geheimnis. Es sind Knebelverträge, die die Rechte an Forschungsergebnissen teilweise oder ganz an den Hersteller der Zellen übertragen. Ein schleppender Ausverkauf deutscher Forschungserfolge.

Die Fronten zwischen Befürwortern und Gegnern der Arbeit mit embryonalen Stammzellen sind längst erhärtet. Da wird teilweise mit falschen Zahlen und überinterpretierten Forschungsergebnissen gearbeitet. Als der erste Ministeriumsbericht über den Erfolg des Gesetzes veröffentlicht wurde, klagten deutsche Stammzellforscher massenweise, sie seien noch nicht einmal nach ihren Erfahrungen befragt worden. Ein führender Wissenschaftler sagte einmal, die Politiker seien so stolz auf die überparteiliche Regelung, dass sie sich für Kritik nicht interessieren.

Was aber ist passiert, dass die Forscher die schwierigen Bedingungen für ihre Arbeit akzeptieren? Es ist das näherrückende Ziel einer Therapie, ein schwerer Weg, der zwar in kleinen Schritten, aber erfolgreich begangen wird. Der Traum des Menschen: Defekte Zellen werden durch neue ersetzt. Die Forschung hat einen wichtigen Schritt nach vorn gemacht. Sie hat sich aus den Klauen der Klon-Diskussion befreit. Das Frankenstein-Argument mit dem Charakter der Überzeugungskeule ist widerlegt - wie übrigens von der Forschung angekündigt.

Nun also rücken Therapien näher, vor allem weil zwei neue Wege von mehreren unabhängigen Forschergruppen aufgezeigt wurden. Ende 2007 verwandelten japanische und US-Forscher gewöhnliche Zellen des Menschen in embryonale Stammzellen. Damit liegt das Rezept für eine persönliche Therapie auf dem Tisch - ohne den Umweg über verbrauchende Embryonenforschung.

Dass jetzt dennoch der Ruf nach mehr Freiheiten kommt, mag überraschen. Der Grund ist einfach: Der Vergleich mit den "echten", nicht über Umwege hergestellten Zellen ist wichtig. Nur dafür eignet sich das zur Verfügung stehende Material nicht. Eine endlose Geschichte.

(RP)
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