AOK nimmt die Igel-Leistung unter die Lupe Viele ärztliche Leistungen sind unnötig

Berlin · Eine neue Untersuchung der Krankenkasse zeigt: Igel-Angebote wie der Eierstock-Ultraschall lösen oft Fehlalarm und riskante Eingriffe aus. Und jeder vierte Patient hat Schwierigkeiten, die Informationen von Medizinern umzusetzen.

IGel-Leistungen: Sinnvoll oder nicht?
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Sinnvoll oder nicht? - Was die gängigsten IGel-Angebote bringen

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Foto: Shutterstock.com/ Pop Paul-Catalin

Krankenkassen und Ärzteschaft pflegen seit Jahren öffentlich ihre Vorurteile über den jeweils anderen. Die Ärzte werden häufig als geldgierig, die Kassen als knauserig und unwissend dargestellt. Umso bemerkenswerter ist die Initiative des Bundesverbandes der AOK: Der Kassenverband mit insgesamt 24 Millionen Versicherten hat sich mit dem Harding-Zentrum für Risikokompetenz und der Bundesärztekammer zusammengeschlossen, um Patienten über Therapien, Untersuchungen und Prophylaxe-Maßnahmen besser aufzuklären. Aus Sicht der Fachleute können auch Ärzte noch eine Menge dazulernen. Sie würden millionenfach unnütze und teils risikoreiche Leistungen anbieten, so der Vorwurf.

Auf den Internet-Seiten des AOK-Verbandes finden Patienten seit gestern so genannte "Faktenboxen". Darin werden bisher elf Untersuchungen und Vorsorge-Möglichkeiten unter die Lupe ihres medizinischen Nutzens genommen. "Wir bieten evidenzbasiertes medizinisches Wissen, verständlich aufbereitet", sagte AOK-Verbandschef Jürgen Graalmann. Auf ihre Wirkung geprüft werden Kassenleistungen und Selbstzahler-Angebote. Das Spektrum soll in den kommenden Wochen und Monaten noch erweitert werden. Den Bedarf dafür sieht er bei Versicherten und bei Medizinern: "Man hat einen unmündigen Patienten und einen wenig informierten Arzt."

Die Analysen zu den Untersuchungen, Therapien und Vorsorgemaßnahmen basieren auf Studien und in Reihe ausgewerteten Patientendaten. So liefern die Faktenboxen den Hinweis, dass zusätzliches Vitamin D weder vor Knochenbrüchen noch vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen schützt und Selen einer Krebserkrankung nicht vorbeugen kann. Umgekehrt können die Nahrungsergänzungsmittel aber unerwünschte Nebenwirkungen haben. Vitamin D kann in Zusammenhang mit Kalzium Magen-Darm-Beschwerden auslösen. Männer, die Selen einnehmen, haben der Faktenbox zufolge ein erhöhtes Risiko für Haarausfall und Hautkrankheiten.

Beim Thema Ultraschall der weiblichen Eierstöcke kommen die Faktenbox-Experten sogar zu dem Schluss, dass diese Selbstzahler-Leistung mehr Schaden als Nutzen bringt. Rund zwei Millionen Frauen wurde im vergangenen Jahr eine solche Untersuchung angeboten. Wer sie einmal pro Jahr machen lässt, hat ein erhöhtes Risiko für eine Fehldiagnose. Etwa jeder zehnte Befund ist auffällig, aber nur in sechs von 100 dieser Fälle liegt tatsächlich Eierstockkrebs vor. Jedoch werden etwa jeder dritten Frau mit auffälligem Befund die Eierstöcke entfernt.

Der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, der an den Faktenboxen mitarbeitet, ging mit seinen Kollegen hart ins Gericht. Er bezeichnete es als "unethisch", Therapien und Untersuchungen anzubieten, die keinen gesicherten Nutzen hätten. Ludwig beklagte zugleich, dass das Gesundheitssystem die falschen Anreize setze und die Ärzte immer weniger Zeit hätten, mit den Patienten zu sprechen.

Die Analysen der AOK-Faktenboxen sollen nach Wunsch von Gerd Gigerenzer, Direktor am Harding-Zentrum für Risiko-Kompetenz, Ärzte und Patienten wieder ins Gespräch bringen. Er ist überzeugt: "Wer gut über gesundheitliche Zusammenhänge Bescheid weiß, kommt beispielsweise seltener ins Krankenhaus, lebt in der Regel gesundheitsbewusster und hält sich eher an die Behandlungsempfehlungen des Arztes." Das alles bedeute, er habe ein geringeres Risiko, früh zu sterben.

Der AOK-Bundesverband hat sich zu dem zusätzlichen Info-Portal entschlossen, da eine mittlerweile ein Jahr alte Studie des Verbandes zeigte, dass mehr als die Hälfte der gesetzlich Versicherten (60 Prozent) nur problematisch bis unzureichend mit den eigenen Krankheiten klarkommen. Graalmann sprach von "Orientierungsproblemen" im Gesundheitswesen. So hat jeder Vierte Schwierigkeiten, Arztinformationen umzusetzen.

(qua)
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