Deutsche-Bahn-Urteil Passagiere müssen bei Ausfällen immer entschädigt werden

Brüssel · Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes muss die Deutsche Bahn die Passagiere auch bei Verspätungen und Ausfällen wegen höherer Gewalt entschädigen. Verbraucherschützer fürchten nun, dass die Tickets teurer werden.

Auch bei Verspätungen durch Unwetter oder Streiks bekommen Bahnfahrer künftig den Fahrpreis teilweise zurück. Laut einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) dürfen sich Deutsche Bahn und Co. nicht mit dem Verweis auf höhere Gewalt vor der Entschädigungszahlung drücken. Wir erklären, was das Urteil für die Verbraucher bedeutet.

Was genau sagt das Urteil?

Die Luxemburger Richter erklären Beförderungsbedingungen von Bahnunternehmen, die eine Fahrpreis-Rückerstattung bei höherer Gewalt ausschließen, für unzulässig. Sie entschieden über einen Fall aus Österreich, wo sich die Bahngesellschaft ÖBB gegen die Forderung der Nationalen Bahnaufsicht gewehrt hatte, eine Passage zum Haftungsausschluss aus ihren Beförderungsbedingungen zu streichen.

Wie viel Entschädigung gibt es?

Ab einer Stunde Verspätung steht Kunden Geld zu. Dann muss das Bahnunternehmen mindestens ein Viertel des Fahrpreises zurückerstatten. Bei einer Verzögerung von zwei Stunden oder mehr wird eine Entschädigung von mindestens der Hälfte des Preises fällig. Das Geld ist auch bei höherer Gewalt fällig — also etwa Unwetter, Streckensperrungen nach Selbstmorden und Streiks. Bei einer Wartezeit von mehr als einer Stunde hat der Bahnkunde laut EU-Recht zudem Anspruch auf Erfrischungen und bei Bedarf auf ein Hotelzimmer. Fällt die Fahrt aus, muss die Bahn einen anderen Transport organisieren.

Was ist mit anderen Schäden?

Das Gericht weist ausdrücklich darauf hin, dass die Bahnunternehmen den Reisenden keinen individuellen Schadenersatz für die Folgeschäden einer Verspätung erstatten müssen, wie etwa einen verpassten Urlaubsflug. Die pauschalierte Teilerstattung des Fahrpreises diene als Kompensation für eine nicht erbrachte Dienstleistung des Bahnunternehmens.

Wie komme ich an mein Geld?

Die Deutsche Bahn hat zusammen mit rund 70 Privatbahnen ein einheitliches Antragsformular für die Erstattung erstellt. Es wird von einem zentralen Servicezentrum bearbeitet. Im Formular müssen der geplante und der tatsächliche Reiseverlauf angegeben werden, die Art der Fahrkarte und die gewünschte Form der Entschädigung: möglich sind ein Gutschein, die Überweisung aufs Konto oder Bargeld am Schalter. Ansprüche bestehen bis spätestens ein Jahr nach Ablauf der Gültigkeit der Fahrkarte.

Steigen jetzt die Ticketpreise?

Verbraucherschützer fürchten steigende Preise. "Es ist wahrscheinlich, dass Bahnfahrer die Ausweitung der Entschädigungsrechte am Ende über höhere Ticketpreise zahlen müssen", meint Otmar Lell, Verkehrsexperte beim Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). Schließlich könnten bei Ereignissen wie einer Flut erhebliche Mehrkosten auf die Unternehmen zukommen. Ein Sprecher der Deutschen Bahn hingegen versprach gestern: "Das hat keine Auswirkung auf die Fahrpreise."

Wie oft kommt die Bahn zu spät? Der Konzern veröffentlicht monatlich den Anteil verspäteter Züge. Im Fernverkehr schwankte die Pünktlichkeitsquote in diesem Jahr zwischen 65,1 Prozent im Hochwassermonat Juni und 81,0 Prozent im Februar. Im Regionalverkehr inklusive S-Bahnen kamen 93,5 bis 96,3 Prozent der Züge pünktlich. Jeder Zug, der weniger als sechs Minuten Verspätung hat, gilt noch als pünktlich.

Was ist mit Flugreisen?

Die Erstattungspflicht gilt nicht für Verspätungen im Flug-, Schiffs-, oder Omnibusfernverkehr, wie der EuGH betonte. Die jeweiligen Nutzungsbedingungen seien nicht austauschbar, betonten die Richter. Auch Verbraucherschützer Lell hält das Urteil für nicht übertragbar: "Bei Flügen gibt es rechtlich eindeutige Ausnahmen für höhere Gewalt." Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte jüngst erst entschieden, dass Fluggäste kein Anrecht auf eine Ausgleichszahlung haben, wenn Vögel das Triebwerk ihrer Maschine beschädigen. Der ökologische Verkehrsclub VCD kritisierte, dass die Rückerstattungspflicht nicht auch für den Flug- oder Schiffsverkehr gelte, sei "eine Wettbewerbsverzerrung zulasten des Eisenbahnverkehrs und zugunsten der anderen Verkehrsträger".

(RP)
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