Paris Visionen aus der Steinzeit

Paris · Die weltberühmte Höhle von Lascaux ist ab morgen als originalgetreuer Nachbau zu besichtigen. Die rund 2000 Tierzeichnungen, die Jugendliche 1940 bei Montignac in der Dordogne entdeckten, sind etwa 20.000 Jahre alt.

Hundegebell und die Stimmen von Jugendlichen sind gleich zu Beginn der Besichtigungstour zu hören. Die Audiokulisse in Lascaux IV, dem Nachbau der weltberühmten Höhle in der Dordogne, erinnert an die Entdeckung vor mehr als 70 Jahren. Der 17-jährige Marcel Ravidat war damals mit seinem Hund unterwegs, der bei der Hasenjagd vor einem Erdloch halt machte. Ravidat kam ein paar Tage später mit drei Freunden zurück und stieg in das Loch hinunter, das heute als am besten erhaltene prähistorische Galerie Europas bekannt ist. "Wir dachten wie alle Kinder, dass wir einen Goldschatz finden werden", sagte einer der Entdecker Jahrzehnte später im Fernsehen. Doch das, was die vier Jugendlichen sahen, war noch wertvoller als Gold: Mehr als 2000 gemalte oder geritzte Tierzeichnungen, die rund 20.000 Jahre alt sind. Die "Sixtinische Kapelle der Vorgeschichte" wird Lascaux auch genannt.

Nach der Entdeckung setzte ein Besucherstrom ein, der die einzigartigen Kunstwerke aus der Steinzeit schädigte. Die Atemluft der 120.000 Menschen jährlich griff die Höhlenmalereien so an, dass die Grotte 1963 schließen musste. Gleich zwei Krankheiten machten sich an den Wänden breit: Mikroalgen und ein weißer Pilz, zu dem später auch noch schwarzer Schimmel kam. Hinter einer gut verschlossenen blauen Tür liegen die Originale deshalb seither nur für Experten zugänglich. Doch die Öffentlichkeit kann das Weltkulturerbe der Unesco trotzdem bestaunen, denn morgen öffnet eine originalgetreue Nachbildung: Lascaux IV. Rund 600 Meter Luftlinie vom echten Höhleneingang entfernt schmiegt sich die moderne Architektur des "Internationalen Zentrums für Höhlenmalerei" mit ihrer Zackenlinie in die Landschaft des für seine Trüffel bekannten Périgord im Südwesten Frankreichs.

Auf 900 Quadratmetern nachgebauter Höhlenwände erstrecken sich die Meisterwerke der Vorgeschichte, bis auf eine Ausnahme ausschließlich Tiermotive. Um ein echtes Höhlenfeeling zu vermitteln, herrscht im sogenannten Faksimile eine Temperatur von 13 Grad und eine Luftfeuchtigkeit von 80 Prozent. Der Eindruck ist so täuschend echt, dass der einzige Überlebende der vier Entdecker, Simon Coencas, nach einer Vorab-Besichtigung in Herbst sagte: "Ich habe mich wie in der Originalhöhle gefühlt."

Mit seinen Freunden war er 1940 zuerst im sogenannten Saal der Stiere gelandet, dem 17 Meter langen Herzstück der unterirdischen Galerie mit Wänden voller lebensecht wirkender Pferde, Hirsche und Auerochsen, von denen der längste fünf Meter misst. In ihrer Ausgestaltung erinnern die prähistorischen Meisterwerke an die moderne Kunst eines Pablo Picasso. Der Spanier war kurz nach der Entdeckung in die Höhle gestiegen und hatte hinterher ernüchtert festgestellt: "Wir haben nichts neu erfunden."

Dass es nach der Schließung der "Grotte de Lascaux" 1963 einen Nachbau geben sollte, war die Idee des Adeligen Charles-Emmanuel de la Rochefoucauld, auf dessen Land Lascaux I, das Original, liegt. Sie sei sofort dafür gewesen, erinnert sich die Künstlerin Monique Peytral, die in jahrelanger Kleinarbeit ganz allein die Kunstwerke für die erste Teil-Reproduktion Lascaux II kopierte. "Was auf diesen Wänden gemalt ist, ist eine große Lektion des Lebens", sagte die Rentnerin vor drei Jahren in dem Dokumentarfilm "Peindre Lascaux, peindre la vie" (Lascaux malen, das Leben malen). "Man soll auf die Natur hören."

Die Spezialistin griff für ihre Reproduktion auf Techniken zurück, wie sie die Steinzeitmenschen benutzt hatten. So pustete sie mit einem ausgehöhlten Knochen Farbstaub auf die nachempfundenen Höhlenwände, um den kopierten Tierkörpern dieselbe Weichheit zu geben wie den Originalen, die rot, braun, schwarz und ocker gehalten sind.

Während Peytrat zehn Jahre für ihre Kopien brauchte, dauerte die Arbeit an Lascaux IV nur drei Jahre. Rund 30 Künstler trugen die Zeichnungen mit der Hand auf die gewölbten Wände auf, die mit moderner 3-D-Technik millimetergenau nachgebildet wurden. 66 Millionen Euro kostete das spektakuläre Projekt, das den vorübergehend geschlossenen Nachbau Lascaux II ergänzt. Mit 400.000 Besuchern jährlich rechnet die Gemeinde Montignac, zu der Lascaux gehört, durch das neue Zentrum. Das Dorf mit seinen 2800 Einwohnern ist auf den Steinzeit-Tourismus allerdings nur teilweise vorbereitet - es hat lediglich 80 Hotelbetten.

(RP)
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