Konzertkritik Morrissey mit aller Konsequenz: Er verlässt die Bühne in Essen

Essen · Morrissey ist konsequent. "Wenn ich sterbe, sterbe ich eben", hat er gesagt, als die Ärzte ihm offenbarten, dass er Krebs hat. Sie rieten ihm zur Ruhe, der britische Sänger, einst Frontman der Kultband "The Smiths", geht aber trotzig auf Tour.

 Während der Zugabe ging Morrissey von der Bühne.

Während der Zugabe ging Morrissey von der Bühne.

Foto: dpa, wst bsc

"Dummer alter Mann, runter von der Bühne", hat er selbst mal gesungen, doch der 55-Jährige muss auf der Bühne bleiben. Da oben hat er eine berauschende Präsenz, er füllt den Raum mit seiner Pose und seiner Stimme. So war es auch in Essen, im Colosseum Theater, dem zweiten von drei Konzerten in Deutschland. Doch Morrissey warnte die Fans: "Lobt mich nicht, ihr wisst nicht, was ich den nächsten zehn Minuten tue."

Er nimmt es sich heraus, sein Ding zu machen. Das macht ihn unberechenbar. In Warschau verließ er zuletzt nach 25 Minuten die Bühne, weil er beleidigt wurde. 80 Minuten lang tat er in Essen aber, was sich gehört (tags zuvor in Berlin spielte er 90 Minuten): Er spielte seine Musik. Es war eine gut konstruierte Melange seines Lebenswerkes: Alte Smiths-Songs wie "The Queen is dead" oder "How soon is now?" oder Morrissey-Klassiker wie "Suedehead" oder "Yes, I am blind" gab es zu hören. Zudem gab es die Werke vom neuen Album zu hören, das er "World Peace is none of your Business" genannt hat. Starke, zuweilen brutale Lieder wie "Istanbul" oder "Staircase at the University." Und Morrissey war bereit für Zugaben. Doch nach den ersten Takten von "Everyday is like Sunday" sprangen Fans auf die Bühne.

Sie wollten Morrissey nahe sein. Er mag das nicht. Und er ging. Das Auditorium schaute ungläubig. Kommt er zurück? Nein. Er kam nicht. Morrissey ist konsequent. Was noch gekommen wäre, vielleicht ein, zwei Songs? Vielleicht "There is a light that never goes out", einer der wundervollsten Smiths-Songs? Die, die auf die Bühne stürmten, raubten dem großen Abend seinen Schlussakt. Nein, Morrissey erlaubt es nicht, dass die Grenzen, die er steckt, verletzt werden. Er ist wie er ist, und das findet er gut so. Er mag es, Botschaften zu vermitteln. Was seine Themen angeht, bleibt er sich konsequent treu.

Er besingt die Traurigkeit der Welt ("Earth ist he lonliest Planet"), prangert die Missstände der Gesellschaft an ("World Peace is none of your Business"), singt schmachtende Liebeslyrik ("Kiss me a lot"), frönt dem Zynismus ("Kick the Bride down the Aisle") und verhöhnt das britische Königshaus: "United King-Dumb" stand unter dem Bild von Prinz William und Prinzessin Kate, das "The Queen is dead" untermalte. Morrissey provoziert. Er polarisiert. Und er schockiert. Vor allem, wenn er diejenigen anklagt, die Fleisch essen. Im Vorprogramm lief in Essen ein Video zu "The Bullfigther dies", in dem deutlich gezeigt wurde, wie Stierkämpfer sterben.

Auch die bewegten Bilder, die zu "Meat is Murder" liefen, waren eine Horrorshow. Morrissey stand mit dem Rücken zum Publikum da, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und starrte auf die Leinwand, während seine Band psychodelisch rumorte. Als das Konzert vorbei war, ließ er Postkarten die Tierschutzorganisation Peta verteilen. Morrissey ist konsequent. Doch das Leben ist so zynisch wie er. Gegenüber des Colosseums ist ein Mc Donalds.

(RP)
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