Hannelore Kraft auf Wahlkampftour Wahlkampf und Wahrheit

Düsseldorf · Auf ihrer Tour durch NRW zeichnet SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft ein überaus positives Bild vom Land. Der tatsächlichen Lage entspricht das nicht immer.

 Hannelore Kraft in ihrem Büro in der Düsseldorfer Staatskanzlei.

Hannelore Kraft in ihrem Büro in der Düsseldorfer Staatskanzlei.

Foto: dpa, ve

Hannelore Kraft wippt auf den Zehenspitzen im Takt der Musik. "Ich bin der Partykapitän…", singen die Kinder. Sie klatscht rhythmisch in die Hände. "…und will Euch tanzen sehen", schallt es von der Bühne. Die nordrhein-westfälische SPD-Spitzenkandidatin winkt nach links, dann nach rechts. Bei der Liedzeile "ohne Kinder geht es nicht" geht sie in die Knie, stampft mit den Füßen auf. Dann ist das Lied zu Ende. "Das war kompliziert, ich habe versucht, mitzukommen", ruft Kraft den Kindern zu.

Es ist Wahlkampf in NRW, und Hannelore Kraft ist auf Tour. Termine mit Kindern zählen da zum Standardprogramm, zumal sie ein zentrales Thema ihrer Regierungsarbeit der vergangenen sieben Jahre sind. Dem Zauber von Bildern mit fröhlichen Kindern kann sich kaum jemand entziehen, das wissen die Wahlstrategen. Die Ministerpräsidentin macht sich klein, bis sie auf Augenhöhe mit den Kleinkindern im Dürener Bewegungs-Kindergarten "Eiswiese" sprechen kann, legt beschützend den Arm um sie, redet ihnen gut zu. Und all das wirkt nicht einmal gekünstelt.

Solche Termine sind es, mit denen Kraft ihr zwischenzeitlich angekratztes Image der fürsorglichen Landesmutter pflegen kann. Auch wenn die Realität in NRW manchmal eine andere ist, als der Eindruck, den die idyllische Inszenierung erweckt.

NRW liegt im bundesweiten Vergleich bei der Betreuungsquote von Kindern unter drei Jahren in Kitas auf einem der letzten Plätze. Zwar hat die rot-grüne Landesregierung die Zahl von 80.000 im Jahr 2010 auf über 180.000 erhöht. Doch gerade in den großen Städten sind Plätze für Unter-Dreijährige knapp. Die Ministerpräsidentin geht davon aus, dass der Bedarf gedeckt ist, weil es kaum Eltern gibt, die ihren Rechtsanspruch einklagen. Doch das mögen selbst Parteifreundinnen nicht so recht glauben, etwa die SPD-Landtagsabgeordnete Daniela Jansen.

Etwa 50 Kilometer weiter östlich ist es kurz zuvor ebenfalls das Kita-Thema, das viele Menschen bewegt. Im Rheinisch-Bergischen Kreis, der bisher bei der Bundestagswahl ein Heimspiel für den populären CDU-Politiker Wolfgang Bosbach war, wittert die SPD Chancen, nachdem es auch auf Landesebene zu personellen Wechseln gekommen ist.

Im Bürgerhaus von Bergisch-Gladbach mischt Kraft sich an diesem Mittwochmorgen unter Parteifreunde und interessierte Bürger. Wie sie die Gebührenfreiheit für Kitas denn finanzieren wolle, zumal die Erzieherinnen doch jetzt schon unterbezahlt seien, fragt ein Schüler. Sie erklärt ihm, das für die Höhe der Löhne nicht das Land, sondern in erster Linie Arbeitgeber und Gewerkschaften zuständig seien. "Macht eine gute Ausbildung, ihr werdet gebraucht", gibt sie ihm dann mit auf den Weg. Der Junge wendet sich seinen Kumpels zu: "Ja, Jungs, da wisst ihr, was zu tun ist."

In ihrem Wahlprogramm verspricht die NRW-SPD, die Gebühren für Kitas in einer Kernzeit von 30 Stunden für alle Eltern abzuschaffen und für die restliche Zeit landesweit zu vereinheitlichen. Die Kosten für dieses Wahlversprechen werden auf über 1 Milliarde Euro veranschlagt.

Um viel Geld geht es auch bei dem Thema, das Hildegard Linde bewegt. Ihre Rente reicht kaum zum Leben. Wenn sie die fixen Kosten abziehe, blieben ihr gerade einmal etwas mehr als 300 Euro im Monat, sagt sie. "Wenn der Mann gestorben ist, bekommt man nur noch 60 Prozent seiner Rente", sagt die Seniorin. Wegen der Kinder habe sie nur Teilzeit arbeiten können, dann habe sie ihren Mann gepflegt — und jetzt das. "Was Sie an Rente kriegen, zahlen andere ein", sagt Kraft nüchtern und verweist darauf, dass die Rente eigentlich ein Bundes-und kein Landesthema sei. Zudem seien in NRW, insbesondere im Ruhrgebiet, traditionell besonders viele Frauen zuhause geblieben.

In NRW liegt die Frauenerwerbsquote bei 66 Prozent. Das Land liegt damit im Bundesvergleich an vorletzter Stelle. Gleichzeitig ist der Abstand zwischen Männern und Frauen bei der Erwerbsbeteiigung nur in Rheinland-Pfalz größer. In NRW ist der Anteil berufstätiger Frauen um beinahe zehn Prozent niedriger als bei den Männern.

Szenenwechsel. Im Braunkohlerevier steht am Mittag die Energiewende im Vordergrund, beim Start-Up SME Management in Elsdorf. Unternehmenschef Kurt Vetten hat sich zum Ziel gesetzt, für eine sichere Stromversorgung zu sorgen, auch wenn immer mehr Windräder oder Photovoltaik-Anlagen ihren regenerativen Strom in die Netze einspeisen. Denn ein nur einstündiger Stromausfall würde in Deutschland rund eine Milliarde Euro kosten, rechnet er vor. Hannelore Kraft ist hochinteressiert. Sie fragt nach möglichen Konkurrenten in diesem Metier, nach dem Zeit- und dem Businessplan, dem Potenzial des Geschäftsmodells. Wenn alles nach Plan laufe, meint Vetter, könne mit Hilfe seines Plans eines virtuellen Kraftwerks für erneuerbare Energien ein Block des Braunkohlekraftwerks Weisweiler ersetzt werden.

In NRW ist der Energiebedarf viermal so hoch wie im Rest der Republik — vor allem wegen der Industrie. Aluminium-, Stahl und Chemieproduktion zählen zu den energieintensivsten Produktionsprozessen überhaupt. Entsprechend hoch ist auch der CO2-Ausstoß, insbesondere weil die Energie zum großen Teil aus Braunkohle gewonnen wird. Trotz ihres Klimaschutzplanes für NRW will sich die SPD auf einen Ausstiegszeitpunkt nicht festlegen. Laut Studien, auf die sich unter anderem die Grünen beziehen, wäre ein früherer Ausstiegszeitpunkt aber durchaus möglich.

Ob die SPD allerdings mit den Grünen zusammen bei der Landtagswahl am 14. Mai wieder eine Regierungsmehrheit bekommt, ist zurzeit fraglich. Aktuellen Umfragen zufolge hätte Rot-Grün zurzeit keine Mehrheit. Dank des Schulz-Effekts hat die SPD zwar auch in NRW stark zugelegt. Die Grünen hingegen verlieren an Zuspruch.

Ob sie denn auch mit der FDP regieren würde, wird Hannelore Kraft auf ihrer Tour mehrmals gefragt. Es ist einer der wenigen Momente an diesem Mittwoch, in denen sie leicht unwirsch reagiert. Über mögliche Koalitionen wolle sie nicht spekulieren, sagt sie knapp. "Wahl-Umfragen sind nur Wasserstandsmeldungen."

(kib)
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