Nach Evakuierung in Wuppertal Alle Hochhäuser in NRW sollen kontrolliert werden

Wuppertal · Nach der Evakuierung des Wuppertaler Hochhauses fordert die SPD, dass landesweit alle Fassaden von Gebäuden ab einer Höhe von 22 Metern überprüft werden. Der Brandschutzverband mahnt an, dass mancherorts Brandschutzregeln nicht eingehalten werden. Einige Städte in der Region haben bereits mit Kontrollen begonnen.

 Die Fassade eines Hochhauses in Wuppertal, das wegen Feuergefahr geräumt wird.

Die Fassade eines Hochhauses in Wuppertal, das wegen Feuergefahr geräumt wird.

Foto: dpa, cas sab

Das elfstöckige Hochhaus an der Heinrich-Böll-Straße in Wuppertal-Langerfeld ist versiegelt. Die 72 Bewohner dürfen das Gebäude nur noch in Begleitung eines städtischen Mitarbeiters betreten, um ihre Habseligkeiten zu holen. Damit sich niemand über das Verbot hinwegsetzt, hat die Stadt sogar die Türschlösser austauschen lassen und einen Sicherheitsdienst engagiert. "Wir können nicht zulassen, dass sich jemand mit einem Ersatzschlüssel Zugang verschafft", sagt eine Sprecherin der Stadt Wuppertal. "Die Gefahr ist einfach zu groß."

Die Stadt Wuppertal hatte am späten Dienstagnachmittag das mindestens 23 Meter hohe Gebäude kurzfristig evakuiert, "weil das Haus keine feuerfeste Fassade und keine ausreichend geschützten Fluchtwege hat", betonte Jochen Braun, Ressortleiter der Stadt Wuppertal für Bauen und Wohnen. "Wir wussten zwar schon länger von den Problemen, aber nach dem Hochhausbrand in London haben wir die Gefahr neu bewertet." Insgesamt 70 Hochhäuser werden in der bergischen Großstadt nun überprüft. Bislang gebe es keine Anzeichen für weitere Evakuierungen, "aber da die Prüfungen laufen, können wir nicht ausschließen, dass sich das noch ändert", so die Stadtsprecherin.

Das Hochhaus in Wuppertal ist das erste in Deutschland, das infolge des Londoner Hochhausbrandes mit 79 Toten für die Bewohner gesperrt wurde. Brandschutzexperten schließen nicht aus, dass weitere Räumungen folgen werden. Die Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes (vfdb) appelliert an die zuständigen Behörden, die Fassadenverkleidungen von Hochhäusern dringend unter die Lupe zu nehmen. "Auch wenn die Vorschriften bei uns als streng gelten, hat der Vorfall in Wuppertal gezeigt, dass die Regeln nicht überall konsequent eingehalten werden", sagte vfdb-Präsident Dirk Aschenbrenner.

Eine gesetzlich vorgeschriebene Kontrollpflicht fehlt bislang. Daher fordert Sarah Philipp, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion im NRW-Landtag, den neuen zuständigen Minister der Landesregierung auf, alle Wohngebäude in NRW, die höher als 22 Meter sind, darauf zu überprüfen, ob dort brennbares Material an der Außenfassade verbaut worden ist. "Die Sicherheit der Bewohner steht jetzt an erster Stelle. Das ist die Lehre aus der Katastrophe von London", sagte Philipp unserer Redaktion. Auch auf Bundesebene sollen nun Konsequenzen gezogen werden. Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD) erklärte, dass die Länder jetzt zügig weitere gefährliche Gebäude im Bundesgebiet ausfindig machen würden. Die Bauministerkonferenz werde "kurzfristig erheben, wo es solche Bauten geben kann", so Hendricks.

In Solingen, Wesel und Düsseldorf laufen die Kontrollen

Die nordrhein-westfälische CDU-Fraktion setzt hingegen auf die Vernunft der Städte. "Wir gehen davon aus, dass alle Kommunen entsprechend der Zuständigkeit ihrer Aufsichtspflicht nachkommen", sagte ein Sprecher. In einigen Städten wird das bereits gemacht. "Wir sind seit vergangener Woche dabei, die städtischen Gebäude hinsichtlich Risikofaktoren wie Entflammbarkeit der Außenfassade, Gebäudehöhe, Fluchtwegesituation, vertikale und horizontale Brandabschnitte zu überprüfen", sagt Birgit Wenning-Paulsen, Sprecherin der Stadt Solingen. In Wesel setzen sich am Freitag die zuständigen Gremien zusammen, um zu klären, ob es in der Stadt Hochhäuser mit entsprechender Fassadenverkleidung wie in London gibt. In Düsseldorf wird bei Prüfungen nun verstärkt auf Fassaden geachtet werden.

Hochhaus in Wuppertal wegen Brandgefahr evakuiert
16 Bilder

Hochhaus in Wuppertal wegen Brandgefahr evakuiert

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Foto: dpa, sab

Der Bauordnung des Landes NRW zufolge handelt es sich bei einem Gebäude um ein Hochhaus, wenn der Fußboden des obersten Geschosses mindestens 22 Meter über dem Erdboden liegt. Ab dieser Höhe gelten besondere Brandschutzanforderungen, weil unter anderem die Drehleitern der Rettungskräfte nicht höher reichen. Auch die Fassaden-Dämmung unterliegt ab dieser Höhe strengeren Kriterien. Problematisch sind nach Meinung von Sachverständigen daher auch Wohngebäude, die über mehrere Stockwerke verfügen, aber knapp unter diesen 22 Metern liegen, "weil dort sehr häufig entflammbares Dämmmaterial verbaut worden ist", sagt Erik Uwe Amaya, Verbandsdirektor des Eigentümerverbandes Haus und Grund Rheinland. Das betreffe eine Vielzahl von Gebäuden, die nun theoretisch auch überprüft werden müssten, so Amaya. "Man kann deshalb sagen, dass alle Gebäude ab 22 Metern eine sicherere Dämmung haben als die, die darunter liegen."

Dennoch werden die Fassaden dieser Gebäude von den Städten in der Regel nicht überprüft. "Bei Häusern mit mittleren Höhen gibt es bei uns keine gesonderten Kontrollen", sagt eine Sprecherin der Stadt Duisburg. Dabei sind die vielfach verbauten Dämmmaterialen bei Gebäuden mittlerer Höhe ein großes Problem für die Feuerwehren im Land. "Die stellen uns vor enorme Herausforderungen, weil sie schnell in Brand geraten", sagt Dietmar Grabinger vom Verband der Feuerwehren in NRW. Gefahr drohe schon durch Aschentonnen, wenn diese — wie häufig zu beobachten ist — direkt an den Fassaden stehen. Manchmal reiche ein Funke aus, der auf die Fassade überspringt, und ein Haus steht in Brand, so der Experte.

Die Bewohner des evakuierten Wuppertaler Hochhauses, darunter viele ältere Menschen, stehen nun erst einmal vor einer ungewissen Zukunft. Die meisten sind bei Familienangehörigen oder in städtischen Unterkünften untergekommen. Sie wissen nicht, wann oder ob sie überhaupt zurück in ihre Wohnungen dürfen. Erst einmal muss die Fassade abgetragen werden, was Expertenschätzungen zufolge Monate dauern kann. Der Vermieter, eine Immobiliengesellschaft mit Sitz in Berlin, kündigte an, sich darum kümmern zu wollen.

(csh)
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