Vorwürfe gegen Uniklinik Essen "Die Verstöße können einen Nachteil für Patienten bedeuten"

Düsseldorf/Mönchengladbach · Die Uniklinik Essen soll ungeeigneten Patienten Spenderlebern transplantiert haben – wehrt sich jedoch gegen diese Vorwürfe. Die Vorsitzende der Prüfungs- und Überwachungskommission der Bundesärztekammer bekräftigt ihre Kritik im Gespräch mit unserer Redaktion.

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Foto: dpa, Jan-Peter Kasper

Die Uniklinik Essen soll ungeeigneten Patienten Spenderlebern transplantiert haben — wehrt sich jedoch gegen diese Vorwürfe. Die Vorsitzende der Prüfungs- und Überwachungskommission der Bundesärztekammer bekräftigt ihre Kritik im Gespräch mit unserer Redaktion.

Frau Rinder, warum wurde das Transplantationszentrum Essen denn überhaupt überprüft?

Anne-Gret Rinder Das war im Rahmen eine Routineuntersuchung. Das ist Vorschrift der Bundesärztekammer und der Gesundheitsministerien der Länder seit der Gesetzesänderungen 2012. Die beruhen auf dem Skandal in Göttingen, bei dem ein Arzt im Verdacht stand, bei der Vergabe von Spenderlebern bestimmte Patienten bevorzugt zu haben. Im Jahr 2016 haben wir deshalb alle Lebertransplantationen untersucht, die im Zeitraum 2012 bis 2015 gemacht wurden. Essen war eines der Zentren in die wir dafür gegangen sind.

Und was haben Sie dabei entdeckt?

Rinder Wir haben in Essen diverse Auffälligkeiten gefunden, von denen drei besonders schwer wiegen. Das haben wir in unserem Bericht festgehalten. Das Uniklinikum konnte eine Gegendarstellung erbringen, und mit Berücksichtigung der Gegendarstellungen haben wir einen Abschlussbericht verfasst.

Welche Auffälligkeiten wiegen besonders schwer?

Rinder Unsere Aufgabe ist es festzustellen, ob die Transplantationsrichtlinien eingehalten werden oder nicht. Im Falle der Leber ist eine Richtlinie, dass Empfänger sechs Monate vor der Operation keinen Alkohol trinken dürfen. Diese Karenzzeit wurde aber in mehreren Fällen nicht eingehalten.

Gab es noch andere Auffälligkeiten?

Rinder Ja. Wir haben festgestellt, dass im sogenannten beschleunigten Verfahren sehr viele Patienten umbenannt worden sind. Das ist ein Verfahren, bei dem Organe, die von anderen Zentren wegen ihrer schlechten Qualität schon abgelehnt worden sind, an Patienten gehen, die dafür besonders geeignet sind. In Essen kam es in 120 von 175 Fällen zu einer solchen Umbenennung. Zugleich wurde nicht genau dokumentiert, warum diese Umbenennung stattgefunden hat. Zuletzt ist aufgefallen, dass Patienten eine Leber erhalten haben, obwohl sie einen Lebertumor hatten, der — laut Transplantationsrichtlinien — entweder zu groß war oder schon zu stark gestreut hatte.

Sind Ihnen ähnliche Fehler auch an anderen Transplantationszentren aufgefallen?

Rinder Nein. Das Uniklinikum Essen war das einzige Haus, an dem solche Auffälligkeiten gefunden wurden. Man muss wirklich sagen, dass die meisten Zentren gute Arbeit leisten.

Haben die Fehler, die dort gemacht wurden, Konsequenzen für die Patienten?

Rinder Es sind alles erhebliche Verstöße. Jemand der Alkohol konsumiert hat, hätte gar nicht erst auf der Warteliste für eine Leberspende landen dürfen. Patienten, bei denen die Schwere des Tumors nicht richtig eingeschätzt wurde, bekommen natürlich anderen gegenüber einen Punktvorteil — und damit auch eine verbesserte Chance auf ein Spenderorgan. Die Verstöße können also einen Nachteil für Patienten bedeuten.

Die Uniklinik Essen behauptet, die Probleme seien lediglich durch Dokumentationsfehler entstanden. Stimmt das?

Rinder Nein, jedenfalls nicht grundsätzlich. Nur bei den beschleunigten Verfahren wurde nicht alles ausreichend dokumentiert, wie gesagt. Das hat die Uniklinik aber inzwischen nachgeholt.

Außerdem behauptet die Uniklinik, die Prüfungskommission hätte keine Sachverständige für die Untersuchung eingesetzt.

Rinder Auch das ist nicht wahr. In diesem Fall hatten wir vier Experten, die alle entweder noch als Chef-Ärzte arbeiten oder es getan habe. Jeder der vier ist Spezialist für das Organ Leber.

Welche Konsequenzen wird Ihr Bericht haben?

Rinder Das kann ich nicht sagen. Wir haben unseren Bericht an die Landesärztekammer, das zuständige Ministerium in NRW und in diesem Fall auch an die Staatsanwaltschaft übergeben. Sie müssen nun entscheiden, welche Konsequenzen unsere Funde haben.

(ham)
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