Dormagen Wenn Muslime 30 Tage lang verzichten

Dormagen · Heute Morgen um 5.18 Uhr ist über Dormagen die Sonne aufgegangen. Um exakt 21.53 Uhr wird sie wieder untergehen. Und in der Zwischenzeit? Nichts. Keine Getränke, kein Wasser, kein Kaffee. Auch keine Speisen. Keine Genussmittel, keine Zigaretten. Fasten ist angesagt. Auch bei Dursun Pekdemir aus Dormagen. Schon als Kind hat der gläubige Muslim während des Ramadans das Verzichten gelernt.

Der 51-Jährige ist einer von rund 20 000 Muslimen im Rhein-Kreis Neuss, die heute den neunten Tag in Folge zwischen Sonnenauf- und Sonnenuntergang fasten. Der Ramadan richtet sich nach dem etwa elf Tage kürzeren muslimischen Mondkalender und geht noch bis zum 16. Juli.

Dieses Jahr fällt er wieder genau in die Sommermonate. In die Monate, in denen die Tage oft die heißesten, ganz sicher aber die längsten des Jahres sind. Denn erst seit der Sommersonnenwende am vergangenen Sonntag werden die Tage allmählich wieder kürzer.

"Das macht das Fasten nicht gerade einfach", sagt Dursun Pekdemir. Aber es geht darum, den inneren Schweinehund zu überwinden und sich bewusst zu machen, wie sich arme Menschen weltweit fühlen, die Hunger und Durst leiden.

Seit seinem neunten Lebensjahr fastet Pekdemir während des Ramadans. Heute ist er Vorsitzender des Dormagener Moscheevereins "Ditib". Sein Hungergefühl kann der Chemikant tagsüber offenbar besiegen. Er sagt: "Das Fastengefühl ist stärker als der Hunger und auch stärker als der Durst."

Normalerweise, so Dursun Pekdemir, gelinge ihm das nicht. "Ich bin zuckerkrank und muss eigentlich zu bestimmten Zeiten etwas essen. Sonst werde ich hibbelig." Während der Fastenzeit habe er keine Probleme. "Notfalls", sagt er, "würde ich das Fasten unterbrechen. Die Zeit kann ich nachholen." Doch das komme nicht oft vor. Auch nicht im Sommer. Gegessen und getrunken wird stattdessen dann, wenn die Sonne bereits untergegangen ist.

Doch welche Auswirkungen hat das Fasten für bis zu 17 Stunden täglich auf den Körper? Die Neusser Ernährungsberaterin Marianne Bender sagt: "Theoretisch kann ein Mensch mit nur einer Mahlzeit am Tag seinen Bedarf an Nährstoffen und Kalorien decken." Der Körper könne die Belastung "abpuffern".

Sorge bereitet ihr hingegen der Verzicht auf Flüssigkeiten: "Eigentlich sollte ein Mensch in kleinen Mengen über den Tag verteilt mindestens zwischen eineinhalb und zwei Litern Flüssigkeit zu sich nehmen." Tue er dies nicht, laufe er Gefahr, dass sich durch verdicktes Blut Gerinnsel bilden, die im schlimmsten Fall zum Schlaganfall führen könnten.

Fakt ist: Niemand wird gezwungen, sich strikt ans Fasten zu halten. "Im Zweifelsfall kann ich auch als gläubiger Muslim abbrechen. Niemand soll seine Gesundheit aufs Spiel setzen", betont Dursun Pekdemir. Das gelte auch für Menschen, die wie er als Chemikant im Beruf viel Verantwortung tragen - mitunter auch für andere Menschen. Ein weiteres Beispiel: Busfahrer. "Besondere Absprachen wegen des Ramadans treffen wir mit muslimischen Busfahrern nicht. Wir erwarten, dass sie voll einsatzfähig zum Dienst erscheinen und bei Kräften sind", sagt eine Sprecherin der Bahn, die auch Busse im Dormagener Stadtverkehr einsetzt. "Wir versuchen dennoch, den Bedürfnissen unserer Fahrer gerecht zu werden", sagt sie. So könnten etwa Schichten getauscht werden. "Das kommt aber nur selten vor."

Elisabeth Roderhoff vom Kreiskrankenhaus Dormagen berichtet: "Manche Mitarbeiter nehmen sich zum Ramadan ihren Jahresurlaub. Auch eine Arbeitsverkürzung ist möglich, die Zeit muss allerdings nachgearbeitet werden." Generell mache sich die Fastenzeit im Krankenhausin Hackenbroich kaum bemerkbar. "Noch nie ist jemand während der Arbeit umgekippt", sagt Roderhoff.

Wie der Neusser Fachanwalt für Arbeitsrecht Mario Meyen mitteilt, dürfte ein Arbeitnehmer dies auch nicht riskieren. "Wer sich am Ramadan beteiligt, muss trotzdem die volle Arbeitsleistung erbringen und trägt Verantwortung für das, was er tut", sagt der Jurist.

Bisher gibt es in Bezug auf den Ramadan keine eindeutige Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichts. Laut Meyen kollidieren zwei Rechtsgüter miteinander: die Erbringung der Arbeitsleistung und die Religionsfreiheit. Entschieden werden muss im Einzelfall.

Dursun Pekdemir vom Dormagener Moscheeverein sieht sich von solchen Problemen weit entfernt. "Ich bin voll leistungsfähig", sagt der Dormagener, der sich jeden Tag aufs Neue vor allem auf eines freut: auf das gemeinsame Beten und Essen nach Sonnenuntergang in der Moschee, zu dem alle eingeladen sind.

(NGZ)
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