Einschulung in NRW 800 i-Dötzchen ohne Gesundheits-Check

Düsseldorf · Zahlreiche Düsseldorfer Kinder starten am heutigen Donnerstag in ihr Schulleben ohne die vorgeschriebene Eingangsuntersuchung. Die Eltern sind irritiert. Das Gesundheitsamt gibt personelle Engpässe als Grund an und will den Test nachholen.

 Heute ist ein großer Tag für Marlene Meerwald (links) und Johanna Schneider aus Düsseldorf-Angermund.

Heute ist ein großer Tag für Marlene Meerwald (links) und Johanna Schneider aus Düsseldorf-Angermund.

Foto: Andreas Endermann

Vanessa Schneider wartet immer noch auf eine Einladung des Düsseldorfer Gesundheitsamtes. "Johanna wurde Anfang Juli sechs, kommt in die Schule und hätte längst untersucht werden müssen. Ich frage mich, was da schief gelaufen ist", sagt die 36-Jährige, die im Düsseldorfer Stadtteil Angermund lebt. Wie ihr geht es auch anderen Müttern in der Landeshauptstadt. Ihre zwischen Juni und September 2008 geborenen Kinder werden heute - ganz regulär - eingeschult und hätten eigentlich längst von einem Kinderarzt des Gesundheitsamtes etwa auf ihr Seh- und Hörvermögen untersucht werden müssen.

"Von Bekannten in Duisburg weiß ich, dass das längst passiert ist", sagt Jessica Mehrwald. Ihre Tochter Marlene wird im September sechs Jahre alt. "Gerade bei den jungen Kindern müsste doch, wenn überhaupt, vor dem Schulstart geprüft werden, ob sie nicht doch noch für ein Jahr zurückgestellt werden müssen", meint die 37-Jährige. Laut Schulministerium ist es verpflichtend, die Kinder vor Schulantritt auf ihre Eignung zu untersuchen. Die Ansage des Gesundheitsamtes, die Untersuchungen würden nachgeholt, findet die Mutter sinnlos. "Soll ich mein eingeschultes Kind wieder aus der Schule nehmen? Und wer stellt mir einen Kita-Platz zur Verfügung?"

Michael Schäfer, Vize-Chef des Gesundheitsamtes, versteht den Ärger der Mütter. Personelle Engpässe über mehrere Monate seien der Grund für die Verzögerung. "Eine Kollegin war bis Mai im Mutterschutz, eine andere hatte im vergangenen Jahr gekündigt. Es hat gedauert, bis wir diese Stelle wiederbesetzen konnten", sagt der Mediziner. Insgesamt arbeiten in diesem Bereich sieben Kinderärzte. Bis zu 164 Untersuchungen pro Woche gibt es, wenn alle Kollegen an Bord sind. "Doch dieser Takt war nicht zu halten", sagt Schäfer.

Mit Folgen für einen Teil der Düsseldorfer i-Dötzchen. Denn von den rund 5300 Kindern, die heute ihren ersten Schultag haben, wurden bislang jene 800 nicht untersucht, die in den Monaten vor dem Stichtag 30. September 2008 geboren wurden. Laut Schäfer soll der Untersuchungsstau jetzt rasch abgearbeitet werden. "Allein bis 11. September haben wir 224 Termine vergeben, danach geht es weiter."

Die Sorge der Mütter, sie erführen womöglich erst in der Schule, dass ihr Kind noch nicht wirklich geeignet ist, hält er für unbegründet. "Jungen und Mädchen, bei denen das wahrscheinlich ist, fallen bereits bei der Anmeldung auf. Sie wurden von uns bevorzugt untersucht." Und falls es einen solchen Fall doch gibt? "Niemand wird wieder ausgeschult. Wir werden ein solches Kind so unterstützen, dass es Erfolg hat - im Zweifel auch mit einem Integrationshelfer."

Die Befürchtungen der Düsseldorfer Eltern sind nicht unbegründet: Die Zahl der aus "erheblichen medizinischen Gründen" um ein Jahr zurückgestellten Erstklässler ist laut Schulministerium stark gestiegen. Waren es im Schuljahr 2006/07 noch 313 Kinder (Anteil an der Gesamtschüler-Zahl: 0,2 Prozent), stuften die Ärzte 2012 /13 3740 Kinder als nicht schulfähig ein (2,4 Prozent). Im Jahr 2013/14 waren es immerhin noch 3075 Kinder (zwei Prozent). Eine richtige Erklärung für diese "statistische Auffälligkeit" habe man auch im Ministerium nicht, sagt Sprecherin Barbara Löcherbach. "Vermutlich spielt der gesellschaftliche Trend eine Rolle, dem Nachwuchs wieder eine kindgerechte Schulzeit zu ermöglichen", spekuliert Löcherbach. 2011 hatte die Landesregierung das Einschulungsalter hochgesetzt und als Stichtag den 30. September festgelegt. Nur Kinder, die dann sechs Jahre alt sind, dürfen eingeschult werden. CDU und FDP wollten zuvor auch Fünfjährige einschulen, bei ihnen galt der 30. Juni als Stichtag.

Rixa Borns von der Lehrergewerkschaft GEW sieht genau in dieser Verunsicherung über das Schuleintrittsalter auch den Grund für die Zunahme der Zurückstellungen - auch wenn sich der Effekt erst etwas verspätet bemerkbar gemacht hat. Eltern können, wenn sie ihren Sprössling als noch nicht schulfähig betrachten, neben der Schuleingangsuntersuchung noch eine zusätzlichen Gesundheits-Check beantragen.

Borns, die in Münster eine Grundschule leitet, hat allerdings nicht das Gefühl, es mit einer großen Welle an Zurückstellungen zu tun zu haben. Möglich sei auch, dass sich die Datenerfassung einfach verbessert habe; die Zahlen von 2006 seien verdächtig niedrig. Damals habe es im Land mehr als 700 Schulkindergärten gegeben, in denen die zurückgestellten Mädchen und Jungen das Jahr überbrücken konnten - für 313 Kinder wäre das ein deutliches Überangebot gewesen.

(RP)
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