Serie "Kriegsende "Die Stunde Null, die gab es nicht"

Düsseldorf · Das Kriegsende wird als Zäsur gesehen. Doch die Menschen damals, sahen das anders, sagt der Historiker Ulrich Brzosa.

 Alltag: Die Menschen verbrachten dicht gedrängt viel Zeit im Luftschutzkeller Alt-Eller. Die Männer im Vordergrund gehörten wohl nicht zur Wehrmacht, sondern zum Arbeitsdienst.

Alltag: Die Menschen verbrachten dicht gedrängt viel Zeit im Luftschutzkeller Alt-Eller. Die Männer im Vordergrund gehörten wohl nicht zur Wehrmacht, sondern zum Arbeitsdienst.

Foto: Archiv Brzosa

Natürlich änderte sich etwas, als die Amerikaner kamen, sagt Ulrich Brzosa. Man war nicht mehr direkt bedroht von Granaten und Bomben, aber "wir als Nachgeborene müssen nicht meinen, dass die Menschen in Düsseldorf damals das Kriegsende als Stunde Null empfunden haben", fügt er hinzu. "Die Stunde Null, die gab es nicht", sagt er und macht das fest an den Chroniken, die er im Rahmen seiner Forschungen etwa über den Stadtteil Eller gesichtet hat. Und an vielen Gesprächen, die er in den vergangenen Jahren mit Zeitzeugen geführt hat.

"Im Alltag änderte sich durch den Einmarsch der Amerikaner der meisten Menschen nicht viel." Stattdessen wurde in den ersten Tagen der Besetzung die Lage eher unübersichtlicher. "Anarchie gab es erst, als die Amerikaner einmarschiert waren", sagt Brzosa. So plünderten etwa die Frauen von Eller das Schloss, in dem die Gebietsführung der Hitlerjungend ihre Zentrale gehabt hatte. Zumindest in Eller war auch der Hunger erst in der unmittelbaren Nachkriegszeit ein Thema. "Selbst als Düsseldorf Frontstadt war, hatten die Geschäfte geöffnet, kriegswichtige Unternehmen sowieso. Und die Verwaltung funktionierte auch."

Man hatte sich an den Ausnahmezustand gewöhnt. So bildeten die Menschen eine Gesellschaft aus Frauen, alten Männern und kleinen Kindern, die schulpflichtigen waren klassenweise aufs platte Land verschickt worden. Eine Konstante bildeten auch die kirchlichen Feste. Sie waren wichtig, um sich ein Stück Normalität zu erhalten.

 Die provisorisch wieder hergestellte Eisenbahnbrücke über der Gumbertstraße, nachdem die Wehrmacht sie zerstört hatte.

Die provisorisch wieder hergestellte Eisenbahnbrücke über der Gumbertstraße, nachdem die Wehrmacht sie zerstört hatte.

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Stolz war etwa Pfarrer Richard Ludewig, der gleichzeitig auch Chronist für den Stadtteil war; darauf, dass an jedem Tag des Krieges ein Gottesdienst stattgefunden hatte. Außer Karfreitag 1945, wie er bedauernd feststellte.

Die Menschen heirateten auch. Und manche Ehen wurden gerade in den letzten Kriegstagen wegen der Gerüchte geschlossen, die in der Stadt im Umlauf waren. Gräuelmärchen wurden erzählt. So hieß es, dass die Besatzer nur verheiratete Frauen nicht vergewaltigen würden. "Man wusste schlicht nicht, wie die Amerikaner sich verhielten. Und man war auch geprägt von der Propaganda", sagt Brzosa. Anders als beim Einmarsch der Roten Armee kam es unter den Amerikanern zu keinen Massenvergewaltigungen. Tatsächlich verteilten die Soldaten Süßigkeiten an die Kinder, ihr Auftreten war weit weniger autoritär als das der Wehrmacht etwa in besetzten Gebieten. Angst hatte die Bevölkerung auch vor den eigenen Leuten. Vor versprengten SS-Leuten etwa, die als sogenannte "Werwölfe" einen Guerillakrieg führen sollten. Und vor den fanatischen Kriegstreibern in der Wehrmacht, die etwa dafür sorgten, dass die Eisenbahnbrücke über die Gumbertstraße gesprengt wurde. Dabei wurde auch ein angrenzendes Haus zerstört. Ein bis drei Tage dauerte die Anarchie in Eller, dann ging das Leben einfach so weiter. Es saßen die gleichen Beamten in der Verwaltung, die gleichen Geschäfte öffneten, die Parteigrößen blieben Teil der Gesellschaft, nur trug man zivil, und aus den Stempeln, mit denen beurkundet wurde, schnitt man die Hakenkreuze. Aufregung herrschte nur wegen der vielen Zwangsarbeiter, die nunmehr unbeaufsichtigt Mundraub begingen, weil sie schlicht nichts zu essen hatten.

(RP)
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