Düsseldorf Die unsichtbaren Aufpasser

Düsseldorf · Der Einsatztrupp Jugend der Polizei versucht Jugendkriminalität zu verhindern, wo sie entsteht: auf der Straße. Wir haben ihn begleitet.

 Wolfgang Wierich ist Kommissariatsleiter und kennt die Zahlen rund um Jugendkriminalität.

Wolfgang Wierich ist Kommissariatsleiter und kennt die Zahlen rund um Jugendkriminalität.

Foto: andreas bretz

Freitag, 14 Uhr Spätschicht. Die Mitglieder des Einsatztrupps (ET) Jugend haben anstrengende, aber erfolgreiche Tage hinter sich: In der vorherigen Nacht konnten sie eine Marihuana-Plantage auffliegen lassen. Handtaschendiebe haben sie Mitte der Woche festgenommen. Jugendliche Intensivstraftäter wurden observiert.

Von einer Schrankwand im Besprechungsraum blicken mehr als 21 Augenpaare zurück. Die meisten sind männlich, einige wirken jung und harmlos. Andere starren leer in die Kamera, irgendwie abgebrüht. Durch den täglichen Blick auf die Bilder prägen sich die Beamten diese Gesichte ein - sie gehören jugendlichen Intensivtätern, auf sie ist das Hauptaugenmerk der Kommissare gerichtet. Jeder von ihnen hat schon mehrere ernste Straftaten begangen, daher werden sie observiert, überprüft, ermahnt. Ein Runder Tisch von Staatsanwaltschaft, Jugendgerichtshilfe und Polizei bestimmt, wer die besondere Aufmerksamkeit des ETs verdient hat.

Der Einsatztrupp des Kriminalkommissariats Jugend besteht aus neun Beamten und gehört zum Kriminalkommissariat 36, das Jugendkriminalität bekämpft. Seit 2004 ziehen sie mit den Sachbearbeitern des Kommissariats an einem Strang, in dieser Zeit hat sich im Bereich Jugendkriminalität einiges getan: 2004 gab es noch mehr als 300 jugendliche Intensivtäter in Düsseldorf, 2015 waren es 71 - ein historischer Tiefstwert. Eine negative Entwicklung zeige sich hingegen bei der Intensität der Taten, erklärt Wolfgang Wierich, der das Kommissariat seit 2011 leitet. "Heute wird viel schneller draufgeschlagen."

15.10 Uhr Die Kommissare besprechen den ersten Einsatzort. Eller Mitte, Bereich S-Bahnhof, ist ein Treffpunkt für Jugendliche und ein Umschlagort für Drogen. Die Kommissare wollen Ausschau nach einem Intensivtäter halten. Durch solche Observationen wissen die Kriminalpolizisten, was ihre Sorgenkinder treiben. Dabei müssen sie vorsichtig sein: Weitergehen statt stehenbleiben, unauffällig, aber genau beobachten, den Kollegen eine exakte Beschreibung durchgeben. Wenn der Observierte aus dem Sichtfeld verschwindet, übernimmt der nächste Kommissar. "Manche Tätergruppen sind so sensibel, die merken schnell, wenn Zivilpolizisten in ihrem Umfeld sind", sagt Kriminalhauptkommissar Holger Krämer*. Fallen sie auf, ist der Einsatz beendet: Die Jugendlichen verschwinden oder ändern ihr Verhalten. Und die Gefahr, beim nächsten Mal wieder aufzufallen, ist groß. Die Jugendlichen wissen, dass die Kripo sie im Blick hat. In Gefährderansprachen suchen die Ermittler den direkten Kontakt, warnen sie vor den Strafen. Und die Kommissare lernen viel über das soziale Umfeld, die familiären Verhältnisse, die Einstellung der Jugendlichen. Im besten Fall bewirkt die Ansprache ein Umdenken.

15.30 Uhr Der Einsatztrupp mischt sich unter die Passanten, die an diesem Tag an der Vennhauser Allee einkaufen, auf den Bus warten. Einige Kommissare sind zu Fuß unterwegs, andere mit dem Auto. Über einen kleinen Knopf im Ohr können alle miteinander kommunizieren, laufen sie sich über den Weg, sind sie Fremde. "Es ist wichtig, ganz normal zu gehen, sich normal umzuschauen", erklärt Krämer, der in seiner Straßenkleidung aussieht wie jeder andere. Drogenbesitz- und handel, Einbrüche, Diebstahl, Raub, Körperverletzung, Bandenkriminalität - alle Straftaten, die junge Menschen zwischen 14 und 21 Jahre begehen, sind ihre Baustelle. Für diese Arbeit ist es existenziell, dass die Kommissare auf der Straße unerkannt bleiben. Deshalb möchten sie ihre Namen nicht in der Zeitung lesen oder fotografiert werden.

16 Uhr Es ist kalt, von dem Gesuchten keine Spur. Dennoch fallen junge Menschen auf, die sich merkwürdig verhalten. Warum steht jemand bei Minusgraden alleine an einer Straßenecke, worauf wartet er? Warum laufen drei Jugendliche einen wenig frequentieren Weg neben der Bahnstrecke entlang, blicken sich abwechselnd um und laufen dann los, in die Richtung, aus der sie gekommen sind? Aus den Spaziergängern, die ihnen unauffällig gefolgt sind, werden plötzlich wieder Kollegen. Die Kommissare versperren den Weg. "Stopp, Polizei!", ruft Yenal Uzul*, 28, Kriminalkommissar. Es riecht nach Marihuana, den Joint haben die jungen Männer, vielleicht 19, 20 Jahre alt, schnell weggeworfen. Ihre Personalien werden überprüft, die Jugendlichen ermahnt, dann dürfen sie gehen. Der Konsum ist nicht strafbar. Trotzdem ist die Botschaft der Polizei klar: Wir sind hier, auch wenn ihr uns nicht erkennt. Wir haben euch im Blick.

17.40 Uhr Dreimal ist der Mann mit dem Fahrrad bereits an den Polizisten vorbeigefahren. Eine Mischung aus Bauchgefühl und Erfahrung lässt Holger Krämer misstrauisch werden. Zusammen mit dem Kollegen Uzul verfolgt er ihn per Auto. Vor der Haustür des Mannes greifen sie zu. Ja, er konsumiere, gibt der Mann zu. Aber nur Marihuana. Dabei habe er nichts. Ob sich die Beamten mal in seiner Wohnung umschauen dürften? Ja. Ein kurzes Telefonat mit der zuständigen Staatsanwältin und einem Richter auf Abruf schaffen die rechtliche Grundlage für die Wohnungsdurchsuchung.

18 Uhr In der Einzimmerwohnung steht der kalte Rauch vergangener Joints in der Luft. Er habe nicht aufgeräumt, entschuldigt sich der 33-Jährige. Eigentlich fällt er aufgrund seines Alters aus dem Zuständigkeitsbereich des Jugendkommissariats, doch es gilt der Strafverfolgungszwang. Die Aussage des Mannes stellt sich schnell als Lüge heraus: In seiner Jackentasche finden die Kommissare mehrere Päckchen Gras. Habe er gerade gekauft, sagt der Mann. Erst vor Kurzem wurde er zu einer Bewährungsstrafe verurteilt - wegen Drogenbesitzes.

18.20 Uhr Uzul und Krämer ziehen Gummihandschuhe aus den Taschen, rufen Verstärkung. Gemeinsam wird die Wohnung auf den Kopf gestellt. Jede Flasche im Kühlschrank, jede Dose im Bad wird geöffnet. "Die Drogenverstecke sind oft kreativ", erklärt eine junge Kommissarin. Dann geht es auf die Wache. Kooperiert der Mann mit der Polizei, kann dies mildernde Umstände beim Urteil bedeuten.

20.45 Uhr Die Beamten erstatten Anzeige, der Mann darf die Wache verlassen. Dann geht es nach Benrath, zu einer Party in der Eissporthalle. Noch eine Gruppe kiffender Jugendlicher, die Besserung schwört. Platzverweis.

21.20 Uhr Ein junger Fahrer, der die Beamten viel zu schnell überholt, ist überrascht, als das Auto hinter ihm plötzlich ein Blaulicht auf das Dach setzt und die Sirene einschaltet. In einer Sackgasse hält er an, dort warten seine Eltern auf ihn. Vermutlich wird die Belehrung durch die Polizei nicht seine einzige sein.

22 Uhr Über Funk wird der Einsatztrupp um Unterstützung gebeten: Ein Fahrraddieb sei auf frischer Tat ertappt worden und auf der Flucht. Alle Autos des ETs sind in der Nähe. Ein älterer Mann auf einem Fahrrad passt zur Personenbeschreibung. Mit den Autos versperren sie ihm den Weg, springen raus. Fehlalarm. Es ist der Falsche. Der Verdächtige ist in der Dunkelheit verschwunden.

23.12 Uhr Schichtende. Auf der Wache kommen die Kollegen noch einmal zusammen, die Stimmung ist gut, der Umgangston familiär. Die Pizzakartons aus der Pause werden weggeräumt, die Pläne für den nächsten Tag ausgetauscht. Im ET Jugend kommt es auf Teamarbeit und gegenseitiges Vertrauen an, die Arbeit ist intensiv und kann gefährlich werden. Doch sie ist lohnenswert, findet Yenal Uzul: "Wir können es schaffen, dass junge Menschen noch die Kurve kriegen." Dabei geht es nicht nur um ein Leben ohne Kriminalität für die Jugendlichen, sondern vor allem darum, Straftaten zu verhindern und somit die Gesellschaft zu schützen.

*Name geändert

(tak)
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