Düsseldorf Die Gretchenfrage am passenden Ort

Düsseldorf · Pfarrer Lars Schütt gibt Goethes "Faust (to go)" Rahmen und Raum. Das Düsseldorfer Schauspielhaus gastiert an vielen Orten in der Stadt. In der evangelischen Christuskirche richtet Regisseur Robert Lehniger die Premiere ein.

 Im anregenden Dialog über "Faust": Pfarrer Lars Schütt (l.) und Regisseur Robert Lehniger in der Christuskirche in Oberbilk.

Im anregenden Dialog über "Faust": Pfarrer Lars Schütt (l.) und Regisseur Robert Lehniger in der Christuskirche in Oberbilk.

Foto: Sebastian Hoppe

Punkt 20 Uhr werden am Samstag die Glocken schlagen, acht Zäsuren sind das in Goethes "Faust", die es so sicher noch nicht gegeben hat. Vor dem Christuskreuz, vor dem mit Rosen geschmückten Altar, unter den hohen bunten Fenstern sind mobile Bühnenteile des Düsseldorfer Schauspielhauses aufgebaut. Fünf Personen spielen das Weltendrama, zahlreiche Videos entführen in entlegene Orte der Stadt. Premiere eines Roadmovies statt Abendgottesdienst, das Publikum nimmt auf Kirchenbänken Platz, und Gretchen stellt dem Wissenschaftler Heinrich Faust die Frage, die an keinem anderen Ort mehr Widerhall erfahren dürfte als hier: "Nun, sag, wie hast du's mit der Religion?"

Theater im Kirchenraum birgt offenbar wenig Wagnis. Keine Angst vor Blasphemie oder unerhörter Provokation hat Pfarrer Lars Schütt. So hat er die Anfrage des Theaters sehr gerne angenommen. Schon länger bietet die Emmaus-Kirchengemeinde Off-Kultur an, das passe zum Milieu in Oberbilk. Die Gemeinde sei heterogener strukturiert als anderswo, man versuche, junge Leute zu binden, eine eigene Szene, und inzwischen gebe es tatsächlich ein kulturinteressiertes Völkchen. "Die haben sich längst den Kirchenraum erschlossen", sagt Schütt, der neben den Holzbänken kleine Sitzgruppen mit abgewetzten Clubsesseln anbietet. Manchmal gibt es sogar Bier in dieser Kirche.

Nun stellt Schütt Rahmen wie Raum für die ungewöhnliche Premiere der Produktion "Faust (to go)" bereit. Beide Seiten können nur voneinander profitieren, wobei das Wort Profit zu merkantil klingt. Wenn Profit, dann nur im Hinblick auf einen tiefgehenden Dialog, auf neue Gedanken und Bilder. "Ich möchte Räume eröffnen", sagt Regisseur Robert Lehniger, gebürtig aus Weimar, der zum ersten Mal Goethes "Faust" inszeniert. In der ehemaligen DDR sozialisiert sei er, "für mich ist die Kirche der Raum, in dem man frei denken kann. Und ich fordere mein Publikum auf, lasst euch auf die Geschichte ein." Der Pfarrer erweitert diese Ermunterung noch: "Der Mensch in unserer satten Gesellschaft soll nicht stillstehen, sondern sich grundsätzlich zu existenziellen Suchbewegungen aufmachen." Die Liturgie sei schließlich auch eine Inszenierung, und das Neue, das das Theater einbringt, zwinge zur Auseinandersetzung mit der wesentlichen Frage des Menschseins: "Was trägt mich im Leben und im Sterben?" Man müsste eigentlich jedes Jahr die Liturgie neu entwickeln, sagt Schütt, damit Kirche zeitgemäß bleibt und die Menschen in ihrem Alltag erreicht.

Wird es eine Botschaft geben bei der ungewöhnlichen Inszenierung? Von Botschaft wollen beide zunächst nichts wissen, und doch vertrauen sie auf die Kraft der Worte und Bilder. Der Regisseur sagt, es werde Goethe pur gespielt, es gebe keine Fremdtexte, sondern das, was da steht, wird zu hören sein, nur eingedampft. "Du musst einen Gedanken tief denken können, damit er dich als Botschaft erreicht." Der Pfarrer bewertet das Theater auch als willkommenes Experiment. "Ohne Risiken kommen wir in dieser unübersichtlich gewordenen Welt nicht weiter. Es braucht Wagnisse. Und wenn Sie predigen, müssen Sie theologisch etwas riskieren, sonst bleiben ihre Worte belanglos, die Botschaften beliebig."

Auch im "Faust" stecken viele Botschaften. So wird man gespannt darauf schauen, wie Lehniger das Stück in der Stadt verortet hat. "Faust (to go)" heißt die Produktion, weil sie zu den Bürgern geht, weil man sie in sein Haus, an seinen Arbeitsort holen kann, um Theater einmal an realen Orten zu erleben. Nach den drei fast ausverkauften Vorstellungen in der Kirche machen sich die Schauspieler auf zu einem rastlosen Trip, ziehen in ein Krankenhaus, ein Gericht, in den Industrieclub. An charakteristischen Orten der Stadt hat Lehniger mit seinem Videoteam Szenen gedreht für das faustsche Roadmovie. Im Künstlerverein Malkasten tanzt Mephisto auf dem Tisch, der Osterspaziergang führt zu den Rheinwiesen, das Fortuna-Büdchen muss für Auerbachs Keller herhalten, der Hund heißt Brix und ist ein schwarzer Königspudel aus Niederkassel.

Bei einem Dreh aber, da vermischten sich Fiktion und Realität. Als Gretchen auf einem Autobahnraststätten-WC über den Boden geschleift wurde, um sie dort zurückzulassen, griffen Passanten ein, wollten helfen. Lehniger musste beruhigen: "Alles nur inszeniert!"

(RP)
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