Düsseldorf Jürgen Becker schafft sich ein Alter Ego

Düsseldorf · Häufig kommt es nicht vor, dass sich jemand, der kein Wissenschaftler ist, im Auditorium der Akademie der Wissenschaften und der Künste den zahlreich erschienenen Gästen stellt. Aber der preisgekrönte Kölner Literat Jürgen Becker widmet sich Themen, die auch Wissenschaftler ergründen.

Düsseldorf: Jürgen Becker schafft sich ein Alter Ego
Foto: Andreas Endermann

Die Erinnerung, das Gedächtnis, der Traum, all das ist Gegenstand der Forschung. "Sie wissen schon alles darüber", sagt der 83-Jährige, selbst seit 2009 Mitglied der Akademie, scherzend. Oder auch nicht, fügt er hinzu, denn er weiß, dass seine Sonden andere sind. Und sie sind natürlich einzigartig. Im Rahmen des Leo-Brandt-Vortrags zur Erinnerung an den Düsseldorfer Ingenieur, Politiker und Initiator der Akademie, las er aus seinem, wie er es nennt, Journalroman: "Jetzt die Gegend damals".

Schon der Titel gibt den Schlüssel zum tieferen Verständnis des Buches. Ohne Satzzeichen, zwei scheinbar widersprüchliche Begriffe als Klammer. Für Becker gibt es keinen Widerspruch, für ihn kann jedes noch so kleine Detail Empfindungen auslösen, aus denen die Geschichte entsteht.

Er sinniert über die lange verschwundene Bahnsteigkarte, wofür man sie brauchte, welcher Welt sie entstammte. Manch einem fällt dazu vielleicht ein Lenin-Zitat ein.

Da werden der "Küpperbusch-Herd" und die bauchige Chianti-Flasche zu Insignien bestimmter Epochen und Kulturen. "Ich wiederhole mich mit dem Alter", sagt der Autor im Gespräch mit Akademie-Sekretär Peter Lynen. "Aber das Gute ist, ich wiederhole mich jedes Mal anders." Im Mittelpunkt steht die Frage, wie man sich durch das Schreiben seiner Autobiografie bemächtigt, wie man die eine Antwort findet: Wer bin ich?

Für sein Buch hat der Büchner-Preisträger ein Alter Ego gefunden. Aber Björn Winter ist nicht Becker, er ist ihm nur sehr verwandt. Doch durch diesen Winter sehen wir den Kosmos aus deutscher Geschichte und Alltagskultur vielleicht deutlicher als durch die Augen Beckers. Denn dessen letzter Satz im Buch lautet: "An mein Leben denkend, sagt er, und die Erinnerungen daran, fallen mir immer bloß Sätze ein, manchmal nur noch einzelne, manchmal ein paar mehr." Wer spricht hier nun? Egal, er schreibt eine wunderbare Prosa.

(hag)
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