Duisburg Festivalitis statt Literaturförderung

Duisburg · Gerd Herholz, Leiter des Literaturbüros Ruhr, hat zwei Monate vor seinem regulären Ruhestand gekündigt, um gegen die seiner Meinung nach verfehlte Literaturpolitik zu protestieren. Er verzichtet dabei auf zwei Monatsgehälter.

Im Juni hätte Gerd Herholz (Jahrgang 1952) ganz normal in den Ruhestand gehen können. Er hätte zum Abschied gewiss viele gute Worte gehört, schließlich hat er als langjähriger wissenschaftlicher Leiter des Literaturbüros Ruhr vorzügliche Arbeit geleistet. Als Literaturförderer genießt er einen guten Ruf. Und gerne erinnert man sich an seine sorgfältig konzipierten Literaturreihen wie "Innenhafen - Außenwelt". "PoesiePalast" und "Mehr Licht! Die europäische Aufklärung weitergedacht", die man auch hier in Duisburg erleben konnte. Herholz hat große Autoren, wie beispielsweise den leider früh verstorbenen Roger Willemsen für Literaturabende gewinnen können. Mit einem Kranz aus lauter lobenden Worten hätte Herholz also Abschied vom Literaturbüro Ruhr nehmen können. Doch er hört schon jetzt auf und verbindet seinen vorgezogenen Abschied mit einem Protest gegen die seiner Meinung nach verfehlte Literaturpolitik in dieser Region.

Dieser Protest tut ihm selber weh. Nicht nur seelisch und intellektuell, sondern auch finanziell. Sein selbst gewählter Abschied zwei Monate vor der regulären Zeit mindert seine spätere Rente zwar nicht gravierend, aber immerhin verzichtet er mit dieser Kündigung aus eigenen Stücken auf zwei komplette Monatsgehälter. Man kann Herholz also nicht vorwerfen, dass sein Protest nur dahingesagt ist.

Jahrelang hat Herholz für eine sinnvolle Literaturförderung im Ruhrgebiet gekämpft. Immer wieder hat er Konzepte erarbeitet, wie man Literatur in der Region verankern könnte. Er entwickelte Pläne für ein europäisches Literaturhaus Ruhr mit Residenzschreiberstelle, Veranstaltungssaal, Literaturcafé und Workshop-Angeboten. Er wollte den Literaturpreis Ruhr ausbauen und ein Literaturnetzwerk Ruhr aufbauen. All diese Vorschläge blieben ungehört. 15 Jahre lang wurde der Etat des Literaturbüros nicht erhöht, was angesichts der Inflation einer Etatreduzierung gleichkam. Statt einer ganzjährigen Literaturförderung setzten Stiftungen und die öffentliche Hand auf Events wie die lit.Cologne, bei der prominente Schauspieler und Bestsellerautoren, unterstützt von Funk und Fernsehen, fünf Tage für Glamour sorgen. Einige Hunderttausend Euro werden für dieses fünftägige Literaturfest ausgegeben. Die Frage, wie Literaturförderung während der übrigen Tage im Jahr aussehen soll, werde, so Herholz, dabei gar nicht gestellt.

Was Herholz jedoch am meisten erzürnt ist, dass die lit.Cologne nun einen Ableger im Ruhrgebiet bekommen hat. Diese "Lit.Ruhr" sei nichts anderes als eine schlichte Kopie der lit.Cologne. Bisweilen würden sogar dieselben Protagonisten an beiden Orten auftreten. Herholz hat dafür schon ein satirisch gemeintes Motto gefunden: "Das Ruhrgebiet - ein starkes Stück Köln!"

Mit Zorn blickt Herholz auf eine Literaturpolitik, bei der seiner Meinung nach die Balance nicht stimmt. In einem Interview, das Herholz in seinem Blog "Revierpassagen" mit sich selber geführt hat, wendet er sich gegen "Festivalitits und Eventitis" und gegen Literaturprogramme, deren geistiger Gehalt darin besteht, Promis dem Publikum und Kameras vorzuführen. Herholz spitzt seine Kritik zu, wenn er in seinem Selbstinterview schreibt: "Dieser ganze sinnentleerte Kulturtrubel, der nur noch dem Profit, den Zuschauerzahlen und der Standortkonkurrenz verpflichtet ist, das ganze sich totlaufende Eventkarussell als austauschbare Fun-Fassade scheinen mir gewollt."

Bezeichnend sei, so Herholz, dass die Planungen für die Lit.Ruhr gänzlich am Literaturbüro Ruhr und an deren Leiter vorbeigelaufen sind. Und pikant ist, dass der Regionalverband Ruhrgebiet ausgerechnet dann die Erhöhung seines Zuschusses angeboten hat, als Herholz seinen Abschied angekündigt hatte. An einer "Verramschung des Literaturbüros" mochte Herholz nicht mitwirken.

Mit seinem Fortgang ist das Literaturbüro Ruhr derzeit verwaist, zumal auch Herholz Mitarbeiterin fürs Büro gekündigt hat und nun im Literaturhaus Herne arbeitet.

Als Gerd Herholz jetzt in die RP-Redaktion seiner Heimatstadt Duisburg kam, zeigt er sich aber nicht nur erzürnt, sondern auch erwartungsfroh. Dass er demnächst Rente bezieht, empfindet er als eine Art Stipendium, das es ihm ermöglicht, sein "zweites Leben" als Schriftsteller zu führen. Gerade hat er ein Prosastück über Duisburg geschrieben, das im August veröffentlicht werden soll. Möglicherweise erscheint demnächst auch ein Band mit älteren und neueren Gedichten von Herholz, der schon als junger Autor mit kritischen, aber auch poetisch-romantischen Texten positiv aufgefallen war.

Und als "Longseller" ist noch immer das überaus erfolgreiche Sachbuch "Musenkussmaschine" im Buchhandel zu bekommen, das Herholz zusammen mit Bettina Mosler vor 14 Jahren veröffentlichte und das mit 128 Schreibbeispielen dazu anregt, Techniken des literarischen Handwerks spielend zu erproben.

(pk)
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