Kamp-Lintfort Schüler lernen im Pflegeheim fürs Leben

Kamp-Lintfort · Bei einer Berufsorientierungswoche haben zehn Mädchen und ein Junge aus den neunten Klassen der Diesterweg-Hauptschule das Caritas-Haus St. Hedwig besucht. Die Begegnung mit alten Menschen stand im Vordergrund.

In einem Raum des Caritas-Hauses St. Hedwig wird eine Szene im voll besetzten Bus nachgestellt. Einige Mädchen und ein älterer Herr haben auf hintereinander angeordneten Stühlen in der Mitte Platz genommen. Drumherum sitzt das größtenteils hochbetagte Publikum. Der Bus erreicht eine Haltestelle, Kamp-Lintfort, Rathaus. Eine alte Frau (gespielt ebenfalls von einem Mädchen) mit Gehstock steigt ein. "Niemand steht auf, das ist doch allerhand . . .", empört sich eine Zuschauerin.

Das kleine, pädagogisch wertvolle Stück brachten gestern Schülerinnen der Diesterweg-Hauptschule Kamp-Lintfort in dem Pflegeheim dar. Es war Teil des Abschlusses einer ganz besonderen Berufsorientierungswoche. Zehn Schülerinnen und ein Schüler der neunten Klassen sind dabei Senioren begegnet. Gemeinsam wurde gegessen, geplaudert, gebastelt, getanzt und gespielt oder auch Fingernagelpflege betrieben. In kleinen Spielszenen wie der beschriebenen ging es um alltägliche Situationen, zum Beispiel auch solche, wie sie in der Pflege vorkommen. Und im Umgang mit den Senioren trainierten die Jugendlichen ganz nebenbei Dinge, die nicht nur im Berufsleben Gold wert sind: Einfühlungsvermögen, Respekt, Zuhören, Höflichkeit.

"Wir möchten die Schüler für Berufe in der Altenpflege sensibilisieren", sagte gestern der stellvertretende Schulleiter Carsten Hiller über das Ziel des Projekts. Einerseits sei es mitunter schwierig, Hauptschülern den Weg ins Berufsleben zu ebnen, andererseits werde Personal in Pflegeberufen dringend gesucht - also könnten beide Seiten profitieren. Fred Krusch, Leiter des St.-Hedwig-Hauses, konnte dies nur unterstreichen. In seinem Hause gebe es zwar keinen Nachwuchsmangel, im Gegenteil: "Wir haben eine Flut an Bewerbungen und bilden sieben Kräfte pro Jahr aus." Allerdings sei der Personalbedarf in der Branche insgesamt enorm hoch. "Eigentlich müsste jeder dritte Auszubildende in die Pflege gehen, um den zukünftigen Bedarf zu decken", sagte Krusch.

Die Kunsttherapeutin Petra Lemke und der Gesundheitspfleger Mike Becker halfen den Schülern bei ihren Gehversuchen auf dem unbekannten Terrain. Eine St.-Hedwig-Mitarbeiterin wurde ebenfalls zur Betreuung der Gäste abgestellt. Praktischen Einblick in die Pflege bekamen die Schüler allerdings nicht; das können sie bei Interesse zum Beispiel im Rahmen von Praktika noch nachholen. Vielmehr sollten sie die Senioren zunächst in ihrer "Ganzheitlichkeit" kennenlernen. "Der Mensch besteht nicht nur aus Pflege und Handicaps", erläuterte Fred Krusch. Die Jugendlichen lernten, dass nicht jeder alte Mensch vergesslich oder gebrechlich ist. Und beide Seiten, Alt wie Jung, mussten sich eingestehen, dass sie in vielen Interessen übereinstimmen: Einkaufen gehen, Freunde treffen, Musik hören, tanzen . . .

"Der Generationen-Unterschied ist gar nicht so groß", lautete gestern das Fazit einer alten Dame, die wie die anderen Heimbewohnerinnen viel Freude am Austausch mit den jungen Besuchern hatte. Auch die Schülerinnen zeigten sich begeistert von der Berufsorientierungswoche im Heim. "Wir haben viele Erfahrungen gemacht und neue Sachen kennengelernt", sagte zum Beispiel Sarah. Alina hatte schon früher den Gedanken an einen Pflegeberuf im Hinterkopf. Jetzt steht für sie jetzt fest: Das wolle sie wirklich machen.

Ein Entschluss, zu dem man ihr gratulieren kann. Die Berufsperspektiven seien glänzend, sagte Fred Krusch, und der Verdienst - zumindest beim Caritasverband - höher als in vielen anderen Berufen. "Auszubildende im ersten Lehrjahr bekommen bei uns 1000 Euro. Und wer ausgebildet ist, wird nie mehr arbeitslos."

(RP)
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