Serie 50 Jahre Realschule Kempen (2) Der Unterricht beginnt in einer Baracke

Kempen · Am 1. April 1964 hat die "Kreisrealschule Kempen" unter Herbert Hubatsch, bis dahin Lehrer an der Realschule Süchteln, ihren Betrieb aufgenommen. Planmäßig, aber unter abenteuerlichen Umständen - unter anderem nur mit zwei festen Lehrkräften.

 Herbert Hubatsch war der erste Rektor der Kempener Realschule.

Herbert Hubatsch war der erste Rektor der Kempener Realschule.

Foto: Busch

62 Jungen und 18 Mädchen werden in zwei Eingangsklassen unterrichtet, pendeln sechs Wochen lang in Hubatschs alte Schule nach Süchteln, bis sie eine in Rekordzeit von vier Wochen errichtete Holzbaracke beziehen können. Die steht heute noch auf dem Hof der einstigen Knabenvolksschule - der Martinschule.

Indes: Wer unterrichtet die vorgeschriebenen Fächer? 1964 herrscht noch ein ausgesprochener Lehrermangel. "Ich war ein Direktor ohne Kollegium", berichtet Herbert Hubatsch. "Bis auf einmal das Telefon klingelte und eine ganz dünne, piepsige Stimme ertönte: 'Guten Tag! Pinkernelle ist mein Name. Ich habe gerade meine Prüfung gemacht und kann an Ihrer Schule anfangen.'"

"Vor Freude wär' ich fast aus den Latschen gekippt", blickt der erste Schulleiter Hubatsch schmunzeln zurück. "Die junge Kollegin und ich haben dann in allen Fächern unterrichtet." Sigrid Pinkernelle hatte Erdkunde und Sport studiert, gab aber auch Geschichte und Deutsch. Der Rektor unterrichtete neben seinen alten Fächern Biologie und Deutsch noch in Mathematik, Religion, Schwimmen und Musik. Für kurze Zeit wurden Englischlehrer aus Süchteln und Geldern abgeordnet. "Und von den 80 Schülern dieses Jahrgangs hat mehr als ein Drittel später das Abitur gemacht", sagt Hubatsch.

Wen wundert's, dass das Gründerjahr 1964 in familiärer Atmosphäre verläuft: In der Holzbaracke drückt die Sekretärin Maria Baumgard zum Pausenende auf die Glocke. Auch der Rektor drückt - seine Zigarette aus und begibt sich mit der Kollegin auf den Hof, um Realschüler von Volksschülern zu sortieren und sie in einen der beiden Klassenräume zu führen. Wie gut, dass Rektor Rudolf Hitpaß bald noch vier Räume an seiner katholischen Knabenvolksschule zur Verfügung stellt.

Zur Erweiterung des Lehrkörpers erscheinen bald einige Damen, die bis dahin als Volksschullehrerin gearbeitet haben, gleichwohl die Lehrbefähigung für die Realschule besitzen: von der evangelischen Volksschule Kempen die Konrektorin Marie Warkentin, von der katholischen Mädchenvolksschule St. Tönis die Rektorin Caecilie Thoer und die Lehrerin Maria-Theresia Droege. Den Englischunterricht besorgt Dr. David Cameron; ein englischer Militärschullehrer, der vordem in Syrien unterrichtet hat. Der "Doktor Decamerone" spricht perfekt Arabisch; hat eine deutsche Frau geheiratet - und wirft Englischarbeiten, die er als "mangelhaft" benotet hat, den draußen angetretenen Schülern durch das Barackenfenster vor die Füße. Nachmittags schreibt der zackige Sprachwissenschaftler an seiner zweiten Doktorarbeit - über das "Tier in der Bibel". Eine Erscheinung, die nur denkbar ist in Zeiten radikalen Lehrermangels.

Höchste Zeit, dass die neu gegründete Schule ein eigenes Gebäude bekommt. Das ist nicht so einfach, denn damals herrscht in Kempen ein regelrechter Bau-Boom, Material und Arbeiter sind knapp. An allen Ecken der Thomasstadt wird geplant, gebuddelt, werden Wände hochgezogen und neue Straßen durchs Feld gebaut.

An der Aldekerker Straße wird eine große Wohnsiedlung errichtet, die man später "Neue Stadt" nennen wird - und die seit einigen Jahren wieder "Hagelkreuz" heißt. Am Buttermarkt nimmt das neue Rathaus Gestalt an. An einer noch gar nicht fertigen Straße, der Berliner Allee, entsteht das jetzige Luise-von-Duesberg-Gymnasium. Und in einem Weizenfeld an der Wachtendonker Straße wird im Juli 1965 der erste Spatenstich zum Bau des neuen Realschulgebäudes getan - ganz unspektakulär und von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen. (Fortsetzung folgt)

(hk-)
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