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Kevelaer Wilhelm Tell im Hier und Jetzt

Kevelaer · Schüler der Realschule Kevelaer sollen Schillers Drama nicht nur lesen, sondern auch erspüren. Sie erhielten Unterricht von einem Theaterpädagogen. Den Deutschlehrern geht es um Bildung, die über Schule hinaus wirkt.

 Der Klassen- als Probenraum: Theaterpädagoge Bernhard Deutsch (l.) mit den Schülern der Realschule Kevelaer.

Der Klassen- als Probenraum: Theaterpädagoge Bernhard Deutsch (l.) mit den Schülern der Realschule Kevelaer.

Foto: Gerhard Seybert

Wilhelm Tell trägt rote Turnschuhe und ein Käppi mit schwarz-rotem Karomuster. "Wilhelm Tell kommt mit seiner Armbrust. Er ist ein Bergbewohner. Er verkauft Wild, davon lebt er." Mit wenigen Sätzen skizziert Bernhard Deutsch, Theaterpädagoge am Jungen Theater im Theater in Mülheim/Ruhr die Hauptfigur in Friedrich Schillers Drama. Miguel in den roten Turnschuhen, für zwei Schulstunden Wilhelm Tell, hört geduldig zu. Seine Mitschüler aus der Klasse 10 e sind Teil des Stückes, und wenn nur als geräuschvoller Sturm.

"Das geschriebene Stück entsteht am Schreibtisch und ihr lest es am Schreibtisch", doziert der Theaterpädagoge. Aber dabei will er es nicht belassen. Er will die Schüler spüren lassen, was in den Figuren vorgeht. Deswegen lässt er die Schüler verschiedene Übungen machen, Szenen werden nachgespielt. Zum Beispiel die, als Wilhelm Tell das erste Mal auftaucht. Ein Mädchen setzt sich in die nicht vorhandene Badewanne. Der Hauptmann, der unter dem Tyrannen Gessler dient, stürmt herein. "Du musst schreien, du wirst gleich vergewaltigt", souffliert eine Mitschülerin. Wo die eine Stimme nicht reicht, rufen nun alle nach dem Ehemann, Konrad. Der Schüler, der den Hauptmann spielt, bekommt die Anweisung, lüstern zu gucken, und die Info, dass er gleich eine Axt in die Stirn bekommt. "Das Gute im Menschen ist nicht das Thema des Stücks", macht der Theaterpädagoge den Schülern deutlich. "Es geht um Terror und Gewalt."

Schillers Wilhelm Tell, ein echter Klassiker. "Laut Lehrplan steht ein Drama für die zehnten Klassen an", erklärt Deutschlehrerin Ute Baumann. Welches, das wechselt. Die Idee zu Wilhelm Tell hatte Kollegin Beatrix Meuskens. Ein Blick in den Spielplan zeigte, das Stück wird am Theater an der Ruhr gegeben. Auch wenn die Schule bald sterbe (die Realschule Kevelaer läuft aus, die Jahrgangsstufen 8, 9 und 10 gibt es noch), wolle man weiterhin qualifizierten Unterricht machen. Und wenn die Schüler Wilhelm Tell durchnehmen, dann sollen sie es auch verstehen, den Inhalt, die Figuren, den geschichtlichen Hintergrund. Deswegen wird mit den Geschichtslehrern zusammengearbeitet. "Die Sprache des Stücks, die ist schwer zu verstehen", sagt Schülerin Aurelia. So wie ihr geht es auch ihren Mitschülern. "Ich habe mir auf Youtube eine Zusammenfassung angeschaut", sagt sie.

"Man kann sich den Inhalt über verschiedene Kanäle erarbeiten", sagt Beatrix Meuskens. "Auch wenn bei uns als Deutschlehrer das Lesen im Vordergrund steht." Dann gehe es natürlich noch um die Dramentheorie. Sie weiß, dass viele Schüler das vielleicht langweilig finden. "Aber wir pushen die Allgemeinbildung." Und das ist ihr wichtig. "Ich kann nur etwas ablehnen, wenn ich es kenne. Und wenn jemand sagt, Theater ist nicht mein Ding, dann ist das so." Aber zunächst müssten die Schüler das erst einmal kennen lernen.

Und dann geht es in die Tiefe. "Nur den Dummen kann ich manipulieren", sagt Beatrix Meuskens auf die Frage, was denn Tell fürs spätere Leben bringe. Beim Stück Wilhelm Tell müssten sich die Schüler mit dem Thema Schuld oder Nichtschuld intensiv auseinandersetzen. Es beginnt mit der berühmten Apfelschuss-Szene. Einen Apfel gibt es im Klassenraum tatsächlich. Stella spielt den Sohn von Wilhelm Tell. Miguel als Tell wird trotz anderer Absprache vom Tyrannen Gessler gefangen genommen, kann fliehen. Der Fels, auf den er sich flüchtet, ist ein Stuhl im Klassenraum. "Durch diese hohle Gasse muss er kommen", sagt Tell, bevor er Gessler erschießt. "Gleichzeitig bricht der Aufstand in den drei Kantonen aus", erklärt der Theaterpädagoge. Das Volk wehrt sich gegen die Unterdrückung. "Natürlich ist das Stück aktuell. Es geht um Menschenrechte", konkretisiert Deutschlehrer Peter Brock. "Es ist unser Anliegen, das Stück in die jetzige Zeit transportieren." Eine aktualisierte Fassung des Klassikers sehen die fünf Zehnerklassen am Theater an der Ruhr in Mühlheim. Und dann steht natürlich noch eine Klassenarbeit an.

Aber erst einmal hat Theaterpädagoge Bernhard Deutsch inmitten der Schüler Platz genommen. Es ist kurz vor Ende der Schulstunde. "Habt ihr einen Song, der mit Freiheit zu tun hat?", fragt er in die Runde. "Marius Müller-Westernhagen?" Ein Schüler zieht sein Smartphone aus der Tasche. Kurz darauf schallen leise die Klaviermusik vom Intro und ein raues "Freiheit" durch den Raum. "Vielleicht können wir leise mitsummen, gegen die eigene Feigheit", sagt Deutsch in die Runde. Die Schüler, nachdenklich.

(RP)
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