Erkelenz Vor 65 Jahren: Selfkant wird niederländisch

Erkelenz · Blick zurück in die Nachkriegszeit: 5682 Menschen lebten nach Gebietsabtretung plötzlich in den Niederlanden, und das nicht schlecht.

 Landdrost Hubert Dassen (links) hisst am 23. April 1949 um 12 Uhr die niederländische Fahne am Amtsgebäude Tüddern. Im Bild rechts zwei Motorroller-Wanderer aus Mönchengladbach und Wegberg am westlichsten Punkt der Bundesrepublik, dem Grenzstein bei Isenbruch in der Gemeinde Selfkant.

Landdrost Hubert Dassen (links) hisst am 23. April 1949 um 12 Uhr die niederländische Fahne am Amtsgebäude Tüddern. Im Bild rechts zwei Motorroller-Wanderer aus Mönchengladbach und Wegberg am westlichsten Punkt der Bundesrepublik, dem Grenzstein bei Isenbruch in der Gemeinde Selfkant.

Foto: Gemeinde Selfkant

Es ist Samstag, der 23. April 1949, in Tüddern. Kurz vor 12 Uhr nähert sich eine Militärfahrzeugkolonne vom niederländischen Sittard her, ein einzelnes Fahrzeug fährt bis vor die Tüdderener Amtsverwaltung, ein schwer bewaffneter Soldat steigt aus, inspiziert das Gebäude und gibt den Weg schließlich frei. Landdrost Hubert Dassen hisst die holländische Fahne am Rathaus - ab jetzt gilt das niederländische Recht. Der Selfkant wird als Folge des Zweiten Weltkriegs nun vor 65 Jahren den Niederlanden angegliedert.

 Kurz vor dem Grenzwechsel kommen massenweise Lkw mit Gütern aus den Niederlanden ins bald wieder deutsche Selfkant.

Kurz vor dem Grenzwechsel kommen massenweise Lkw mit Gütern aus den Niederlanden ins bald wieder deutsche Selfkant.

Foto: Gemeinde Selfkant

1940 überfiel Nazideutschland das Nachbarland und hielt es fast fünf Jahre unter seinem repressiven Mordsystem. Im September 1944 setzten die Deutschen sogar große Teile der Niederlande unter Wasser mit der Folge einer Hungersnot. Eine weitere Folge des Kriegs war für die Niederlande der Verlust des Großteils ihrer Kolonien. Da das Land wirtschaftlich praktisch am Boden lag, wurden in der Exilregierung in London schon ab 1944 Entschädigungen und Gebietsabtretungen gefordert. Die Siegermächte billigten im Juni 1948 den Niederlanden insgesamt 70 Quadratkilometer mit rund 10 000 Einwohnern im Selfkant und am niederrheinischen Elten zu, die beiden niederländischen Parlamentskammern akzeptierten das teils nur ganz knapp.

 Einen Esel führten die Selfkänter 1963 als erstes über die Grenze.

Einen Esel führten die Selfkänter 1963 als erstes über die Grenze.

Foto: Gemeinde Selfkant

Denn in den Jahren zuvor waren ganz andere Forderungen der niederländischen Politik auf der Agenda, nach denen der komplette Niederrhein, ein breiter Streifen bis zur Nordsee einschließlich der Insel Borkum annektiert werden sollte. Sogar die Umbenennung der Städte war schon zu Papier gebracht - so sollte aus Mönchengladbach "Monniken-Glaadbeek" werden, aus Köln "Keulen", aus Jülich "Gulik" und aus Selfkant "Zelfkant".

Mit der Übernahme verloren auf einen Schlag alle deutschen Behördenmitarbeiter ihre Stellen. Es kamen 18 niederländische Polizei- und 38 Zollbeamte. Die Bevölkerung des Selfkants musste sich registrieren lassen - dabei wurden 5682 Menschen gezählt. Diejenigen, die die deutsche Staatsbürgerschaft behielten, bekamen kein Wahlrecht, waren aber ansonsten den Niederländern gleichgestellt. Sie erhielten Fördermittel für den Hausbau - bis zur Rückgliederung am 1. August 1963 wurden 917 Neubauten erstellt, Straßen und andere Infrastruktureinrichtungen gebaut.

Alle Einwohner des Selfkants fielen unter das niederländische Rentenrecht - ab 1956 hatte jeder, der das 65. Lebensjahr erreichte, einen Anspruch auf eine durchaus nicht schlechte Grundrente. Das kam vielen Bauern und Handwerkern zugute, die bis dahin nicht "geklebt", also keine Renteneinzahlungen geleistet hatten. Die Behördenmitarbeiter wurden später doch von der Auftragsverwaltung übernommen, der Schulunterricht wurde in Deutsch erteilt, und bezahlt wurde in Gulden, der etwa 80 Pfennige wert war. Viele Lebensmittel vor allem waren in den Niederlanden billiger. Das sollte noch eine Rolle bei der Rückgliederung des Selfkants an die Bundesrepublik Deutschland spielen. Heute ist der Selfkant, genauer: Ortsteil Isenbruch, der westlichste Zipfel Deutschlands.

(isp)
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