Monheim "Das Jugendamt stabilisiert Familien"

Monheim · Ein durchgängig präventiver Ansatz hat die Krisenbewältigung abgelöst. Dafür sind geschulte Mitarbeiter notwendig.

 Annette Berg bilanziert im Gespräch mit RP-Redakteurin Petra Czyperek ihre Aufbauarbeit im Monheimer Jugendamt.

Annette Berg bilanziert im Gespräch mit RP-Redakteurin Petra Czyperek ihre Aufbauarbeit im Monheimer Jugendamt.

Foto: RALPH MATZERATH

Wer im Jugendamt arbeitet, muss in Zukunft noch genauer hinsehen als bisher. Die Situation von Familien hat sich in den vergangenen Jahren rasant geändert, und damit wird gerade für viele Kinder, der Lebensalltag schwieriger. "Jedes zehnte Kind wächst in einer Familie mit nur einem Elternteil auf", erlebt Jugendamtsleiterin Annette Berg. "In Monheim lebt außerdem jedes vierte Kind in Armut, und immer mehr Eltern leiden an psychischen Problemen." Deshalb muss das Wohl der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Mittelpunkt stehen, sagt die 47-Jährige. "Wir gucken jetzt mehr hin als noch vor 15 Jahren."

Heute wären in Monheim wahrscheinlich so unrühmliche "Karrieren" wie die von Andreas B. nicht mehr möglich. Der jugendliche Intensivtäter hatte Lastwagen geklaut und mit den Transportern Spritztouren unternommen. Bei einer dieser Fahrten hatte der damals 15-Jährige im März 2000 einen niederländischen Polizisten tödlich verletzt.

Im Januar 2000, begann Annette Berg als Stadtjugendpflegerin in Monheim. Die Entwicklung von Andreas B. war damals nicht mehr aufzuhalten. "Ich habe den Fall aber in den Medien verfolgt." Im November wurde sie Leiterin des Jugendamtes. In diesen zehn ersten Monaten hat sie das Jugendparlament aufgebaut, ihren Blick für die Probleme vor Ort geschärft und erste Ideen für ein Konzept entwickelt. Das Jugendamt saß damals noch unter dem Dach im Rathaus, umfasste mit den Jugendclubs und dem Allgemeinen sozialen Dienst 50 feste Mitarbeiter. 130 sind es jetzt im Bereich Kinder, Jugend und Familie. Damit ist es der größte Bereich innerhalb der Stadtverwaltung. Im Haus der Chancen haben über ein Drittel der Mitarbeiter ihre Büros. Die anderen arbeiten in den Kindertagesstätten, der Jugendwerkstatt oder der Schulsozialarbeit.

Als der Rat 2002 "Moki" (Monheim für Kinder) gemeinsam mit dem Bezirksverband Niederrhein der Arbeiterwohlfahrt (Awo) auf den Weg brachte, war Monheim eine Kommune mit Nothaushalt und stand unter Sparzwang. "Ich kam von einem Freien Träger in Wuppertal nach Monheim und war es gewohnt, ohne viel Geld etwas zu bewirken", beschreibt Annette Berg ihre Startsituation. Nach und nach gelang es ihr, den damaligen Bürgermeister Thomas Dünchheim (CDU), die Verwaltung und den Rat davon zu überzeugen, dass sich durch möglichst frühe Förderung auf lange Sicht viel Geld sparen lässt. Die klassische Jugendhilfe, so die Amtsleiterin, nahm bis dato erst Kinder ab dem Grundschulalter ins Visier. Mit dem frühen Ansatz "Bildung für alle" soll jetzt die Benachteiligung von Kindern aus armen Familien abgefedert werden. "Wir waren Vorreiter und galten als Vorbild für die Familienzentren in ganz Nordrhein-Westfalen." 2004 gab es den deutschen Präventionspreis. 2014 wurde Moki ausgezeichnet als Ort im Land der Ideen.

Ohne die finanzielle Unterstützung vom Landschaftsverband Rheinland und insbesondere der Stiftung Wohlfahrtspflege NRW, die Moki seit 2005 mit rund zwei Millionen Euro gefördert hat, wäre der Ausbau so sicher nicht möglich gewesen.

Inzwischen setzt Moki schon kurz nach der Geburt bei den Allerkleinsten an. Sozialarbeiterinnen gratulieren den jungen Eltern per Brief und besuchen sie später auf Wunsch auch zu Hause - ein kleines Geschenk im Gepäck. Das ist das erste Glied der Präventionskette. Über Kita, Grundschule und auch beim Übergang in den Beruf soll der Kontakt mit Hilfe eines eng gespannten Netzwerkes erhalten bleiben.

Die Jugendhilfe hat sich inzwischen zu einer "Schaltzentrale für gesundes Aufwachsen" entwickelt, betont Berg. Der Verwaltungsvorstand hat sie im Frühjahr 2011 zur Beauftragten für Kinder und Familien berufen. "Um als kinderfreundliche Kommune mit optimalen Zukunftschancen zu gelten, reicht es nicht, genügend Kindergartenplätze vorzuhalten", hatte Bürgermeister Daniel Zimmermann (Peto) damals betont. Vielmehr müssten alle Bereiche der Verwaltung dahingehend geprüft werden, ob sie den Ansprüchen von Kindern und Familien genügten. Der übergeordnete Ansatz erforderte die neue Koordinierungsstelle, noch bis Ende August geleitet von Annette Berg. Dann wechselt sie als Jugendamtsleiterin nach Essen.

"Hauptstadt des Kindes" will Monheim sein: Rund 60 Träger arbeiten dafür zusammen - Arbeiterwohlfahrt, Schulen, Kitas und Kirchen. Die Stadt habe so den Trend, Kinder aus schwierigen Familien in einem Heim unterzubringen, bremsen können, sagt Berg. Auch die Bildungschancen im Problembezirk Berliner Viertel hätten sich deutlich verbessert. Vor dem Start von Moki erhielten nur neun Prozent der Grundschüler dort eine Gymnasialempfehlung. "Jetzt sind es 25 Prozent."

(RP)
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