Betreuer schikanieren Behinderte Lebenshilfe stellt Mitarbeiter nach Wallraff-Bericht frei

Leverkusen · Die Lebenshilfe Leverkusen hat am Dienstag Stellung zu den Szenen in der Sendung "Team Wallraff" genommen, in denen zwei Mitarbeiter eine junge, schwerstbehinderte Frau erniedrigen. "So etwas gehört nicht unter unser Dach", schimpfte die Vereinsvorsitzende.

Team Wallraff - Polizei prüft Schutz der Lebenshilfe-Einrichtung
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Lebenshilfe - Polizei prüft Schutz der Einrichtung

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Foto: Susanne Genath

Die Mitarbeiter der Lebenshilfe-Werkstatt haben Dienstschluss. Vor dem Gebäude stehen schon die Kleinbusse bereit, die die Menschen nachmittags zurück zu ihren Familien bringen. Alles läuft ganz gewöhnlich. "Ich bin jetzt weg", ruft einer der Menschen mit Behinderung. Er richtet seine Kappe und geht weiter Richtung Ausgang. Dann schimpft er zu sich selbst: "Das ist ein Ding, was RTL da berichtet hat." Er steigt in einen Bus.

Die Szene passt zu dem, was wenige Minuten zuvor der Geschäftsführer der Werkstatt gesagt hatte. "Der Vorgang hat hier eine tiefe Verunsicherung bei den Menschen hinterlassen. Das betrifft Eltern, Angehörige und Personal", sagte Harald Mohr bei einer Presserunde, zu der die Lebenshilfe geladen hatte. Dort nahm nicht nur er Stellung zu den schweren Vorwürfen, sondern auch die Leverkusener Landtagsabgeordnete Eva Lux, die Vereinsvorsitzende der Lebenshilfe ist, und Stadtkämmerer Frank Stein, der sich ehrenamtlich in dem Verein engagiert.

RTL zeigte am Montag eine neue Episode des Enthüllungsformats "Team Wallraff". Zu sehen war, wie Menschen mit Behinderung schikaniert und gedemütigt werden. Ein Großteil der Sendung spielte in der Werkstatt im Leverkusener Stadtteil Bürrig. In einer Sequenz sind zwei Mitarbeiter zu sehen. Sie essen gemeinsam Mittag mit den in der Werkstatt arbeitenden Menschen. Eine junge, schwerstbehinderte Frau isst Joghurt. Als einiges davon in ihrem Gesicht landet, vergleichen die Mitarbeiter das mit Sperma. "Mhm, lasziv", sagt ein Mann.

Team Wallraff: RTL deckt Missstände in Lebenshilfe-Einrichtungen auf
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Misshandlungsvorwürfe gegen Lebenshilfe

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Foto: RTL

Behinderte fällt, aber Mitarbeiter hilft ihr nicht

"Beide sind nun freigestellt", bestätigte Harald Mohr. "Beide", das sind ein Mann und eine Frau, die in der Einrichtung arbeiten. Nur die Frau sei am Dienstagmorgen zur Arbeit erschienen, der Mann habe Erziehungsurlaub "Nach kurzer Zeit hat sie sich aber krankgemeldet und ist nach Hause gegangen", sagte Mohr. Der Geschäftsführer, Eva Lux und Stein nannten die Handlungen der beiden inakzeptabel, grauenhaft und einen Skandal, der aufs Schärfste zu verurteilen sei. Lux konnte nicht mehr bei sich halten: "Ich bin angepisst", sagte sie. "So etwas gehört nicht unter unser Dach."

Die beiden Mitarbeiter machten sich nicht nur beim Essen über die junge Schwerbehinderte namens Lisa lustig. Lisa hat motorische Defizite und kann nicht richtig laufen. In einer Szene ist zu sehen, wie sie über den Fuß eines Betreuers stolpert und hinfällt. Statt der Frau aufzuhelfen, machen die Mitarbeiter Witze. "Es ist ja nicht so, als hättest du gesehen, dass da jemand steht", sagt der Mitarbeiter. "Siehe unten", sagt ein anderer Mann. In einer anderen Szene ruft ein Betreuer Lisa spöttisch mit heller Stimme: "Komm mal her! Ja, komm mal her!"

Der Staatsanwaltschaft Köln habe die Werkstattsleitung die Namen der Mitarbeiter mitgeteilt, sagte Mohr: "Wir wollen gegen sie vorgehen." Das hätten die Verantwortlichen der Lebenshilfe gerne schon früher getan. Nach eigenen Angaben wurde die Lebenshilfe von RTL Mitte Januar über die Filmaufnahmen informiert. Gedreht wurde aber schon Ende 2015. "Hätten wir vor einem Jahr davon erfahren, hätten wir schon damals die Konsequenzen gezogen", sagte Stein. "Das wären keine anderen als heute gewesen", ergänzte Mohr. RTL aber habe sich geweigert, nähere Angaben zu den gefilmten Szenen zu machen.

Mitarbeiter waren unauffällig

Die Frage, die die Verantwortlichen stellen: Ist es angesichts des Falles in Ordnung, das Filmmaterial bis zur Veröffentlichung zurückzuhalten und die Menschen ihrem Schicksal zu überlassen? "Aus dem Schreiben vom Januar gingen weder Ort, Zeitpunkt noch Personen hevor", sagte Mohr. "So war es uns nicht möglich, den Sachverhalt aufzuklären." Die beiden nun freigestellten Mitarbeiter seien vorher unauffällig gewesen, erst bei der Ausstrahlung habe man sie erkannt. Kurz zuvor habe in ihrer Gruppe eine Supervision stattgefunden - unauffällig.

Inzwischen ermittelt die Polizei. Die Behörde will herausfinden, ob die Vorwürfe aus dem Fernsehen stimmen und ob die Einrichtung und ihre Mitarbeiter nun besonderen Schutz brauchen. Mohr erhielt Drohanrufe, in den Sozialen Medien tobt ein Shitstorm. "Wir haben Zuschriften erhalten, man solle uns alle an die Wand stellen", sagte Lux. "Und das war noch harmlos." Ein Betreuer sei von einem Passanten mit Hund angeraunzt worden, als er vor der Werkstatt eine Zigarrette rauchte, berichtete Mohr. "Hast du nichts zu arbeiten", soll der Mann gerufen haben.

Handlungen ziehen andere in Misskredit

Offen bleibt vorerst eine Frage: Angeblich will RTL die Familie der schikanierten Schwerstbehinderten aus Leverkusen informiert haben, so zeigt es auch der Bericht. Warum aber hat die Familie dann nicht umgehend in der Werkstatt Alarm geschlagen? Gegen RTL klagen will die Lebenshilfe nicht. "Was würde das auch bringen", fragt Mohr. Ihm sei mehr daran gelegen, das gestörte Vertrauen wieder aufzubauen. "198 von 200 Mitarbeitern leisten einen ganz hevorragenden Job", sagte er. Dass nun die ganze Einrichtung in Misskredit gebracht wird, trifft ihn. Am Ende steht die Erkenntnis: "Wir werden künftig - leider - mit einem anderen Blick in die Gruppen gehen", sagte Eva Lux.

Lisa kam am Dienstagmorgen wie üblich zur Arbeit. Auch kein anderer Mensch mit Behinderung blieb zuhause. "Werten Sie das als Vertrauensbeweis", sagte Mohr.

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