Mönchengladbach Die Frau mit den zersägten Motorrädern

Mönchengladbach · Wie verletzbar sind menschliche Körper und vom Menschen geschaffene Maschinen? Das ist das Thema von Alexandra Bircken. Ihre Ausstellung "Stretch" macht ganz schön was mit dem Betrachter. Das Kopfkino läuft im Zeitraffermodus.

 Alexandra Bircken mit einem ihrer zerteilten Motorräder im Museum Abteiberg. Am kommenden Sonntag wird ihre Ausstellung "Stretch" eröffnet.

Alexandra Bircken mit einem ihrer zerteilten Motorräder im Museum Abteiberg. Am kommenden Sonntag wird ihre Ausstellung "Stretch" eröffnet.

Foto: Isabella Raupold

Vier schlaffe Typen hängen in der Cafeteria ab. Der eine hat seinen Kopf auf dem Tisch gebettet, die anderen können sich kaum noch auf ihren Stühlen halten. Betrunken? Müde? Komplett von der Rolle? Gleich um die Ecke kann der Museumsbesucher das Moos wachsen sehen. Das tut's hier besonders gut, weil die Lichteinstrahlung perfekt ist und das Grün jeden Morgen mit Wasser besprüht wird. Im Schloss eines merkwürdig verkrüppelten Motorrads steckt noch der Schlüssel, daran hängt ein kleiner Schutzengel. Geholfen hat's nicht, wie es scheint. Aber - immerhin - dieser Glücksbringer macht die brachiale Brutalität dieser Arbeit irgendwie erträglicher. Rührend auch.

Alexandra Bircken macht ganz schön was mit dem Betrachter. Ihre Arbeiten gehen unter die Haut, das Kopfkino läuft im Zeitraffermodus. Zersägte Motorräder. Eine kopf-, hand- und fußlose Gestalt in lederner Motorradkleidung liegt auf dem Boden. An der Wand ist eine aufgeschnittene Kluft aufgespannt. "Die wurde tatsächlich bei einem Unfall so lädiert", sagt die Künstlerin. Dem Fahrer sei aber außer einem Knochenbruch nichts weiter passiert. "Es geht um die menschliche Existenz, um die Verletzbarkeit des Körpers", sagt Museumsdirektorin Susanne Titz. "Die Kleidung soll den den Körper wie eine zweite Haut schützen."

Mit Kleidung und Mode hatte Alexandra Bircken ursprünglich sehr viel zu tun. Geboren 1967 in Köln, ging sie zum Studium nach London. Sie wurde Modedesignerin, hatte ein eigenes Label und einen Laden in Köln. "Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich mich immer mehr von der Funktionalität entfernte." Auf ihrem Weg in die Freiheit suchte und fand sie Äste und Zweige, die sie bekleidete. Im Wechselausstellungsraum ist eine dieser frühen Arbeiten zu sehen. Da steht ein Ästlein auf einem Sockel, den sie mit Jeanshose und -hemd bekleidet hat. Die Figur schmeißt ein Bein in die Höhe und reckt beide Arme. Lebensfreude pur. "Ich habe damals Formen gesucht, die ich bekleiden konnte."

Warum Motorräder? "Ich fahre leidenschaftlich gerne und schnell Motorrad", sagt die Künstlerin. Es sei dieses berauschende Gefühl der Freiheit, das sie mit keinem anderen Fortbewegungsmittel so empfinde. "Schon gar nicht im Auto." Die zersägten Motorräder schafft sie analog zu den verletzten und verletzbaren Menschenfiguren. "Allerdings werden Körper von Ärzten wieder zusammengeflickt und heilen. Das geht mit den Maschinen nicht. Sie werden nie mehr fahrtüchtig sein."

An Neoprenanzüge erinnern die schwarzen "Schattenkörper", die den Pistoletto-Raum bevölkern. Sie hängen an Bügeln hoch oben in der Shed-Decke, sie räkeln sich auf dem Mäuerchen am Treppenaufgang, klettern eine Leiter empor, sie hängen und liegen auf einem riesigen Gestell aus Metall und Holz, das Alexandra Bircken auf Räder montiert hat. Manche sehen entspannt aus, andere tot. Was ist hier geschehen? "Das sind abgelegte Körperhüllen", sagt sie. Also auch hier: Verletzbarkeit, Schutzbedürfnis. "Wo hört der Körper auf, und was macht die Welt mit ihm?" Das sind die Fragen, die Alexandra Bircken umtreiben. Die sie mit ihren Arbeiten thematisiert und - beantwortet.

Die Werkschau "Stretch", die gemeinsam mit dem Kunstverein Hannover und mit finanzieller Unterstützung durch die Stiftung für Kunst, Kultur und Soziales der Sparda Bank West realisiert wurde, wird am Sonntag, 26. März, um 12 Uhr im Museum Abteiberg eröffnet.

(RP)
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