Serie Karneval Ungeschminkt (9) So viel Herzblut fließt in einen Karnevalswagen

Mönchengladbach · In einer Scheune entsteht derzeit der größte Wagen für den Hardter Veedelszoch. Die RP war einen Abend mit dabei.

 Siegfried Sauermann (unten) sorgt dafür, dass aus zwei Muschelhälften eine ganze wird. Sie ziert am Rosenmontag die Front des Wagens.

Siegfried Sauermann (unten) sorgt dafür, dass aus zwei Muschelhälften eine ganze wird. Sie ziert am Rosenmontag die Front des Wagens.

Foto: Detlef Ilgner

Es riecht nach einer gewöhnungsbedürftigen Mischung aus Leim und Stroh. Im Hintergrund klackert irgendwo ein Tacker, während zwei Männer eine überdimensionierte halbe Muschel, die mal ein Sandkastengefäß war, auf eine Euro-Palette hieven. Darauf ist bereits eine andere halbe Muschel aufgebockt. Der Farbton der Muschelhälften liegt — so genau lässt sich das im schummerigen Halbdunkel der Hardter Scheune nicht sagen — irgendwo zwischen perlmutt und beige. Als hätte jemand Ketchup und Mayo verrührt — und so ähnlich war es auch. "Ich habe einfach rote und weiße Farbe miteinander vermischt", sagt Manfred Winkels. Ein Akkuschrauber heult auf. Siegfried Sauermann drillt Nägel in ein Kantholz, das die beiden halben Muscheln zu einer ganzen verbinden wird. Dann kann sie aufklappen — um, sagen wir, beispielsweise eine Perle an einer Kordel zu zeigen, ohne zu viel zu verraten.

 Dieser Schein trügt: Zwar fuhrwerkt hier fürs Foto ein Herr der Schöpfung an den Stoffbahnen für den Wagen herum, das Sagen haben aber die Frauen.

Dieser Schein trügt: Zwar fuhrwerkt hier fürs Foto ein Herr der Schöpfung an den Stoffbahnen für den Wagen herum, das Sagen haben aber die Frauen.

Foto: Ilgner Detlef (ilg)

"Gladbach — die Perle vom Niederrhein" lautet das diesjährige Sessionsmotto, und selbstverständlich wird der größte Wagen im Hardter Veedelszoch am Rosenmontag darauf Bezug nehmen. Wie immer in den vergangenen Jahren. Doch bis der Wagen so weit ist, müssen rund 30 Karnevalsfreunde Arbeitsstunde um Arbeitsstunde investieren — und einen Batzen Geld. Aber sie machen es gerne, mit viel Leidenschaft und Herzblut. Die Gruppe ist so unprätentiös, sie hat nicht mal einen richtigen Namen. Der harte Kern war ursprünglich ein Kegelclub, aber auch der hatte keinen Namen, an den sich jemand auf Anhieb erinnern würde. Als Fußgruppe fingen sie an, mittlerweile stellen sie jedes Jahr das größte Gefährt: elf mal 2,50 Meter ist der Lkw-Hänger, der in liebevoller Kleinarbeit an das jeweilige Motto angepasst wird.

Der Tacker ist leer, er muss aufgefüllt werden. Beate Adamitzki stemmt die Arme in die Hüften und atmet durch. Sie heftet gerade eine türkisfarbene Stoffbahn wellenförmig an den bereits dunkelblau eingehüllten Wagen. "Na, im Dunkeln sieht's gut aus", scherzt jemand aus dem Hintergrund, eine Bierflasche klirrt. Alle lachen. Adamitzki ist die Schneiderin der Gruppe, sie hat bereits drei Tage lang mehr als 30 Kostüme gefertigt, für Groß und Klein. Maria Siemes trägt grünen Netzstoff herbei, der noch über den türkisen getackert werden soll — und danach folgen noch Dutzende zum Teil selbst gefertigte Muscheln, Fische und Quallen. "Ich finde, es sieht so aus, als hätte sich jemand was bei all dem hier gedacht", sagt Siemes und grinst. Pläne? Zeichnungen? Auf eine generalstabsmäßige Vorbereitung pfeift die Gruppe. "Erst stehen wir immer planlos vor dem Wagen, dann probieren wir was aus — und daraus wächst dann etwas Schönes", sagt Eberhard Adamitzki. Und: "Die Frauen geben immer den Ton an." Er lacht.

Überhaupt wird viel gescherzt und gefrotzelt. "Schon verrückt, wie viel Aufwand wir uns immer wieder machen", murmelt einer. Zumal auch dieser jecke Trupp sich durch die immer neuen Regulierungen drangsaliert fühlt — und durch die explodierenden Kosten. Allein die TÜV-Abnahme habe mehr gekostet als der Hänger selbst. Und mit dem mächtigen Gefährt mal beim Veilchendienstagszug mitfahren? "Das können wir uns nicht leisten. Was das Wurfmaterial alleine für Hardt kostet — und wenn man das dann auf Gladbach hochrechnet?" Auch ein Unterstellplatz für den Hänger für die nicht-närrischen Monate fehlt der Truppe derzeit. Wer einen parat hat, kann sich bei Manfred Winkels unter 02161 551494 melden.

Es ist schade, dass sich eine Truppe, über deren Arbeit sich die Hardter an den Straßenrändern jedes Jahr wie närrisch freuen, sich mit solchen Gedanken abplacken muss. Denn wer am Ende dieses arbeitsreichen Abends aus der Scheune in eine sternenklare Nacht (und den Matsch) tritt, der kommt nicht umhin zu denken, dass er soeben der reinsten Seele des Brauchtums und des Karnevals begegnet ist.

(RP)
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