Mönchengladbach Mitarbeiter des Jugendamts oft bedroht

Mönchengladbach · Es ist ein schwieriger und oft auch gefährlicher Spagat: Elternrecht wahren und gleichzeitig Kindeswohl schützen. Jugendamtsmitarbeiter werden manchmal sogar massiv attackiert, wie der Fall am 3. August zeigte.

 Nicht selten kommen Jugendamtsmitarbeiter in völlig vermüllte Wohnungen. Leben dort Kinder, werden sie in Obhut genommen - zumindest bis in der Wohnung wieder normale Zustände hergestellt worden sind.

Nicht selten kommen Jugendamtsmitarbeiter in völlig vermüllte Wohnungen. Leben dort Kinder, werden sie in Obhut genommen - zumindest bis in der Wohnung wieder normale Zustände hergestellt worden sind.

Foto: Seybert

Ein Kinderzimmer mit einem völlig verdreckten Gitterbettchen, in dem ein übergelaufenes Töpfchen neben angegessenen Keksen steht. Ein Kühlschrank voller Schimmel. Und der Boden in der kompletten Wohnung übersät mit Abfall, gebrauchter Kleidung, vergammelten Essensresten, leeren Flaschen und Zigarettenstummeln.

Beim Jugendamt lagern tausende solcher Fotos, aufgenommen in Mönchengladbacher Wohnungen. "Und jetzt stellen Sie sich den Geruch dazu vor", sagt Bernd Sperling, Abteilungsleiter des Allgemeinen Sozialen Dienstes. Dass Menschen unter solchen Umständen leben können, ist eigentlich nicht vorstellbar. Es kommt aber vor. Und das gar nicht einmal so selten. "In den vergangenen Jahren sogar immer häufiger", sagt Sperling.

Wenn Jugendamtsmitarbeiter in solchen Wohnungen hilflose Kinder vorfinden, dann ist klar: Hier ist eine Inobhutnahme notwendig. "Wer es nicht schafft, seine Wohnung sauber zu halten, schafft auch andere Dinge nicht. So lebt ja niemand freiwillig", sagt Sozial- und Jugenddezernentin Dörte Schall. Psychische Erkrankungen, Drogen, Alkohol seien oft die Ursache.

291 Kinder und Jugendliche hat die Stadt Mönchengladbach im vergangenen Jahr in Obhut genommen. Vor fünf Jahren waren es noch 225. Nicht alle Kinder und Jugendliche, die aus Familien genommen wurden, lebten in so genannten Messie-Wohnungen. "Es gibt mehrere Kriterien, wann wir eingreifen müssen", erklärt Jugendamtsleiter Reinhold Steins. Ein Beispiel: Das Kind oder der Jugendliche meldet sich selber beim Jugendamt und erklärt, dass es in der Familie unzuhaltbare Zustände gibt, die Mutter trinkt oder der Vater schlägt. "In solchen Fällen müssen wir sofort handeln", sagt Steins. Die Kinder werden aus der Familie genommen und an einen sicheren Ort gebracht. Dann beginnen die Gespräche mit den Eltern und mit den Kindern. "Wir kommen oft zu einer Übereinkunft, wie das Zusammenleben wieder klappen kann - mit ambulanter Hilfe zum Beispiel", sagt Sperling.

Das sei auch das Bestreben des Jugendamtes: Wenn es eben möglich ist, sollen Kinder bei ihren Eltern bleiben. Aber den Schutzbedürftigen darf auch kein Leid geschehen. Und gerade das ist für Jugendamtsmitarbeiter oft ein schwieriger und auch gefährlicher Spagat: auf der einen Seite Elternrechte wahren, auf der anderen Seite Kindesgefährdung ausschließen. Was ist, wenn die psychisch erkrankte, aber nach einer Therapie stabile Mutter rückfällig wird und in einem Anflug von Wahn ihr Kind erstickt? Zurückliegende Fälle in Deutschland haben gezeigt: Die strafrechtliche Verantwortung liegt beim Jugendamt. "Das ist eine enorme Verantwortung", weiß Dörte Schall. Dazu kommt: Wenn Kinder aus einer Familie geholt werden sollen, weil sie akut gefährdet sind, ist das eine hoch emotionale Situation. Nicht selten reagieren Eltern aggressiv - so wie am 3. August, als zwei Sozialarbeiterinnen plötzlich einem tobenden Familienclan gegenüberstanden. Die Frauen wurden angegriffen, eine Mitarbeiterin wurde sogar verletzt. Die Polizei rückte mit einem Großaufgebot an. Auch Abteilungsleiter Sperling hat Erfahrungen mit Gewalt machen müssen: Ein aufgebrachter Vater schlug ihm mehrfach ins Gesicht. Dass Mitarbeiter verletzt werden, ist zum Glück selten. Drohungen kommen aber häufig vor. "Unsere Mitarbeiter haben schon öfters Sätze gehört wie ,Ich weiß, wo dein Kind zur Schule geht'", berichtet Sperling. All das macht die Arbeit im Allgemeinen Sozialen Dienst nicht einfacher. "Wir haben eine hohe Fluktuation", sagt der Abteilungsleiter. Man müsse für den Job schon irgendwie geboren sein. "Viele sagen aber auch, wenn ich irgendwo helfen kann, dann hier", sagt Dörte Schall.

Deeskalationstraining und regelmäßige Supervision gehören für die Mitarbeiter, die in Familien gehen und sich um das Kindeswohl kümmern, zum Job dazu. Kommen von Nachbarn, Bekannten, aus Schule oder Kindergarten Hinweise, dass ein Kind möglicherweise gefährdet ist, gehen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Allgemeinen Sozialen Dienstes grundsätzlich zu zweit los, um die Situation vor Ort zu prüfen. So entscheidet nie einer alleine, ob ein Kind in Obhut genommen werden muss oder nicht.

Hat das Jugendamt entschieden "Die Kinder müssen raus" heiße das aber noch lange nicht, dass die Kinder für immer weg sind, sagt Steins. Manchmal beauftrage man die GEM, den Müll aus der Wohnung zu entsorgen, stelle der Familie eine Haushaltshilfe an die Seite und sorge für weitere Unterstützung, damit die Kinder sicher wieder zurückkehren können.

Auch aus Kostengründen soll eine Heimunterbringung nach Möglichkeit verhindert werden. Der Tagessatz für eine stationäre Unterbringen kostet pro Tag 175 bis weit über 300 Euro.

Für Hilfen zur Erziehung hat die Stadt in diesem Jahr 53 Millionen Euro angesetzt. Aber schon jetzt ist laut Steins abzusehen, dass dies nicht reichen wird. Denn mit dem Geld müssen auch die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge betreut werden.

Und auch die Integrationshelfer, die im Zuge der Inklusion in Schulen gebraucht werden, sind eine Art von Hilfe zu Erziehung, die bezahlt werden muss.

(RP)
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