Moers Als Kabarettist Hüsch schöne Füße bekam

Moers · Süchteln - das war für den jungen Hanns Dieter Hüsch ein Schreckenswort. Über Jahre wurden dort in der Kinderorthopädie seine Klumpfüße behandelt. Die LVR-Klinik hat nun Einblick in seine Krankenakte gestattet.

Der Befund war klar: "Klump-Hohlfuß, starke Adduktionsstellung, Vorspringen des Fußrückens links. Geringe Klumpfußstellung rechts." Für die Ärzte der Kinderorthopädie in Süchteln, Dr. Kochs und Dr. Roehren, war klar: Der Junge musste operiert werden. Jahrzehnte später wurde aus dem Jungen mit den Klumpfüßen ein bekannter Schriftsteller und Kabarettist, das "Schwarze Schaf vom Niederrhein". Ab und an schrieb er auch über die Schmerzen, die Traurigkeit und die Einsamkeit, die ihm seine "niederrheinischen Füße" beschert hatten. In dieser Zeit verfasste er auch seine ersten Texte.

Am 16. Juli 1939 wurde Hanns Dieter Hüsch in die Orthopädische Provinzial-Kinderheilanstalt aufgenommen. Drei Wochen blieb der 14-Jährige aus Moers in Süchteln. Die Krankenakte des Kabarettisten befindet sich noch heute im Besitz der LVR-Klinik, Nachfolgerin der einstigen Provinzial-Heilanstalt. Die Witwe des Kabarettisten hat die Einsicht in die Unterlagen gestattet.

Die Krankenakte dokumentiert einen Ausschnitt aus Hüschs Leben - aus der nüchternen medizinischen Sicht: "Kräftiger Junge in gutem Ernährungszustand. Haut und sichtbare Schleimhäute gut durchblutet." Zu seinen Eltern steht notiert: "Vater gesund. Mutter starb an Multipler Sklerose."

Die Süchtelner Kinderorthopädie war bundesweit eine Größe. "Bis zu 450 Kinder wurden hier behandelt", erzählt Beatrix Wolters, Sprecherin der LVR-Klinik. Viele Patienten kamen mit Knochentuberkulose und blieben über Wochen. "Für die Eltern gab es einmal im Monat eine Besuchszeit", sagt Wolters.

Hüsch verbindet mit Süchteln eine Leidenszeit. Immer wieder wurde er zur Redression von Moers nach Viersen kutschiert. In den ambulanten Operationen wrangen die Ärzte seine Füße in die richtige Stellung und gipsten sie ein. Die "große germanisch-katholische Schwester mit der weißen Tüte auf" hielt ihm vorher das Teesieb mit der Narkose unter die Nase. In seinem Buch "Du kommst auch drin vor" (1990) erinnert er sich: "Süchteln, das ist heute noch ein Wort für mich wie ein Brandzeichen. . . . Süchteln, das war damals für mich ein Schreckenswort. Dort lag für mich die große orthopädische Kinderheilanstalt, und nebenan lag die Anstalt für geistig Behinderte. Damals sagte man: Geisteskranke. Und ich habe sie schon früh gesehen, meine Brüder, in gestreiften Drillichanzügen . . ."

Zur Schluss-Operation schreibt Hüsch: "Ich hatte sehr große Angst und Heimweh. Mit ein bisschen mehr Mut wäre ich vielleicht sogar weggelaufen. Nachts, durchs Klofenster. Aber ich wollte ja auch endlich schöne Füße."

Der Kabarettist erinnert sich aber auch an das Sommerfest 1939, auf dem Chefarzt Dr. Kochs sich als Clown verkleidete. "In der Kinderklinik war immer etwas los", erzählt die LVR-Sprecherin. "Die Kinder wurden von den Nonnen nicht nur unterrichtet, sondern es gab sogar ein Orchester namens Orla-Kiki. Und es gab ein richtiges Unterhaltungsprogramm mit Zirkusvorführungen, Theaterstücken und Ausflügen." Auf einem alten Schmalfilm hat ein Unbekannter diesen Alltag festgehalten.

(RP)
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