Unsere Woche An der Blamage vorbeigeschrammt

Moers · Mit Gudrun Tersteegen tritt für die Grünen eine Politikerin als Kandidatin für den Landtag an, die weiß, wie man Wahlkampf macht. Besonders der SPD wird das nicht gefallen.

Auf den allerletzten Drücker haben die Moerser und die Neukirchen-Vluyner Grünen sich jetzt doch noch dafür entscheiden, mit einer eigenen Kandidatin zu den Landtagswahlen anzutreten. Am 27. März wäre die Frist für Anmeldung beim Landeswahlleiter abgelaufen. Die übrigen Parteien waren schon weit vor Weihnachten in die Pötte bekommen, nur die AfD hatte in diesem Jahr noch einmal nachwählen müssen.

Zeitpunkt und Verfahren sagen einiges über den Zustand der hiesigen Grünen aus, deren Mitgliederversammlungen an manchen Tagen auch in einem Wohnzimmer abgehalten werden könnten. Auch landesweit stagniert die Partei laut den jüngsten Umfragen. Manche sehen sie schon im Sinkflug.

Auf der anderen Seite haben die Grünen über ein Vierteljahrhundert deutsche Politik maßgeblich mitgeprägt. Im Land wie auch in den beiden Ratsversammlungen in Moers und in Neukirchen-Vluyn tragen Grüne Entscheider-Verantwortung. Es wäre schon eine Riesen-Blamage gewesen, wäre es den beiden Ortsvereinen nicht gelungen, eine eigene Kandidatin aufzustellen.

Dabei ist Gudrun Tersteegen alles andere als eine Verlegenheitslösung. Sie ist ausgezeichnet vernetzt und verfügt über jede Menge politischer Erfahrung.

Vor allem aber ist sie ein Wahlkampf-Profi. Während ihres zweieinhalbjährigen Intermezzos bei der SPD hat sie überaus erfolgreich den Wahlkampf des Spitzenkandidaten Ibrahim Yetim organisiert. Im Kommunalwahlkampf hingegen war sie knapp ihrem CDU-Mitbewerber unterlegen, hatte sich aber ebenfalls respektabel geschlagen. Nicht wenige SPD-Mitglieder bedauerten 2011 den Austritt der quirligen Kapellenerin aus der Partei.

Vielleicht werden sie das nach der Wahl noch mehr tun. Tersteegen könnte vor allem die Stimmen linksliberaler Wechselwähler für sich gewinnen, die sonst für Yetim abgestimmt hätten.

Schon allein ihr Name ist ein, zwei Prozentpunkte wert: "Tersteegen": Das klingt nach evangelischem Liedgut und Apfelsaft - kurz nach Heimat. Und Yetim? Kann bei vielen vermutlich mit seinem Namen weniger punkten. Sicher, auch er ist ein ausgebuffter - studierter - Kommunikationsprofi und kann auch ohne Wahlkampfleiter auf eine eingespielte Struktur zurückgreifen. Aber Tersteegen kennt diese Strukturen mit ihren Stärken und Schwächen, wie sonst nur wenige. Sie wird wissen, wo sie anzugreifen hat.

Ob sie das auch kann und will, muss sich erst noch erweisen. Schließlich dürften ihr selbst die größten Optimisten in der eigenen Partei keine Chance einräumen, an den Spitzenkandidaten der beiden großen Parteien, Yetim und Brohl, vorbeizuziehen. Manch einer mag sich sogar denken, dass jede Stimme für Tersteegen Yetim in der Endabrechnung fehlen könnte. Wer politisch eher grün-rot als grün-schwarz unterwegs ist, könnte deshalb trotz Sympathien für Tersteegen am Ende doch für Yetim stimmen.

Zum Glück schert sich Tersteegen um solche taktischen Überlegungen nicht. Es ist gut, dass sie antritt.Schließlich braucht eine Partei nicht nur ein Programm, sondern auch ein Gesicht.

Ein schönes Wochenende! juergen.stock@rheinische-post.de

(RP)
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