Klingelbeutel Man kann etwas bewirken

Moers · Das Thema der Bootsflüchtlinge auf dem Mittelmeer bestimmte in der zurückliegenden Woche die Schlagzeilen und die Fotos auf den Titelseiten der Medien. Der Tod einer riesigen Zahl von armen Menschen, in ein viel zu kleines Schiff gezwängt und von Libyen aus durch skrupellose Schleuser aufs Meer gesetzt, erschütterte die Öffentlichkeit. Mich erinnern diese Bilder an ein Hungertuch, ein Meditationstuch für Passion und Ostern zu Beginn der 1980er-Jahre in Haiti entstanden, das sogenannte "Haiti-Hungertuch". Unten links im Bild: Menschen in einem kleinen Boot, die See vom Sturm gepeitscht. Rechts unten: Menschen, ins Wasser gestürzt, versuchen, an einer Steilküste die Felsen zu erklimmen, um sich zu retten. Es sind so viele, die hochsteigen wollen, jeder kämpft nur um sein nacktes Leben. Keiner merkt, wenn der Halt, den er für seinen Fuß sucht, der Kopf der Person ist, die hinter ihm klettert. Unten in der Mitte: ein Bild von Krieg und Folter. Das Besondere an dieser Darstellung: Jesus ist überall mit im Bild, als Opfer im Krieg, als Schiffbrüchiger, der versucht, die Felsen zu erklimmen und mit anderen Verzweifelten im Boot. Dass verzweifelte Menschen versuchen, im Boot auf dem Wasser ein neues Ufer zu erreichen, ist nicht neu.

Groß in der Mitte des Bildes, mit seinen Zweigen und wunderbaren Früchten alles andere in den Schatten stellend, ein Lebensbaum. Er ersetzt das Kreuz Christi. Christus grüßt mit ausgebreiteten Armen vom Lebensbaum herab die kranke und unruhige Welt. Christus ist ein Farbiger. Das war damals, als das Hungertuch in die Kirchengemeinden kam, noch ein Aufreger.

Wird, wenn nächste Woche sich wieder ein anderes Thema in die Schlagzeilen drängt, noch jemand über das Elend der Flüchtlinge reden. Gibt es eine Chance, dass sich an der ganzen Misere grundlegend etwas ändert?

Die lange Zeit, die dieses Flüchtlingsdrama im Mittelmeer schon andauert, macht einen skeptisch. Christus wird aber auch dann noch mit im Boot sitzen, wenn die Welt mal gerade nicht aufs Mittelmeer blickt. Und die Früchte, die der Lebensbaum reifen lässt, sind groß und vielfältig, die reichen bestimmt für alle. Wann beginnt eine angemessene Verteilung, die unseren eigenen humanitären Ansprüchen nahe kommt? Wie positionieren wir uns, wenn das Thema da, wo wir zugegen sind, besprochen wird? Politiker achten bei ihren Entscheidungen sehr auf das Stimmungsbild in der Bevölkerung. Man kann etwas bewirken, Christus wartet und lässt auch uns im Ringen um eine lebenswerte Welt für alle nicht allein.

JÜRGEN KUNELLIS, PFARRER DER EV. KIRCHENGEMEINDE HOERSTGEN

(RP)
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