Nettetal Kassen verweigern Kranken-Transport

Nettetal · Patienten mit Altersbedingter Makuladegeneration können erblinden, wenn sie keine Spritzen von Spezialisten erhalten. Mehrere Krankenkassen zahlen nun die Taxikosten nicht mehr. Die Betroffenen sind verzweifelt.

 Die Kosten für die Taxifahrt zur Behandlung beim Spezialisten will die Krankenkasse von Helena Zenzes nicht mehr übernehmen. Die Nettetalerin, die an Altersbedingter Makuladegenration erkrankt ist, fürchtet nun, blind zu werden. Fotos: Ulrich Schütz/Horst Siemes

Die Kosten für die Taxifahrt zur Behandlung beim Spezialisten will die Krankenkasse von Helena Zenzes nicht mehr übernehmen. Die Nettetalerin, die an Altersbedingter Makuladegenration erkrankt ist, fürchtet nun, blind zu werden. Fotos: Ulrich Schütz/Horst Siemes

Foto: ur

Mehrere ältere Menschen in Nettetal könnten erblinden, weil sie sich die Taxifahrt zu einer unverzichtbaren Behandlung nicht leisten können. Davor warnt Augenarzt Marco van Gansewinkel. Die Patienten leiden an Altersbedingter Makuladegeneration, kurz AMD. Dabei gehen Sehzellen auf der Netzhaut zugrunde. Die Erkrankung lässt sich zwar nicht heilen, aber immerhin verlangsamen: Dazu müssen Betroffenen Medikamente direkt ins Auge gespritzt werden.

Bei Helena Zenzes aus Lobberich war zuerst das linke Auge betroffen. "Ich habe das zum ersten Mal gemerkt, als ich beim Aufstehen mit dem linken Auge einen großen, schwarzen Fleck gesehen habe. Das war vor drei Jahren", sagt sie. Der Augenarzt kann die Spritzen nicht selbst setzen, das müssen Spezialisten übernehmen. Die nächste Möglichkeit ist im Krefelder Glashaus, dorthin fuhr Zenzes. Weil ihre Kinder sie nicht fahren konnten, nahm sie ein Taxi. Ihre Krankenkasse, die AOK, habe die Fahrten bezahlt.

Nun ist auch ihr rechtes Auge betroffen. Die Kasse hat angekündigt, dass sie die Taxifahrten nicht weiter tragen wird, die alle sechs Wochen anstehen. "Die Kassen beziehen sich auf eine Transportmittelrichtlinie, die seit mehreren Jahren gilt", sagt van Gansewinkel. Bislang hätten sie im Einzelfall gezahlt. Nun legten sie die Richtlinie offenbar anders aus.

 "Ich weiß nicht mehr weiter. Und ohne die Spritzen werde ich blind." - Helena Zenzes, AMD-Patientin

"Ich weiß nicht mehr weiter. Und ohne die Spritzen werde ich blind." - Helena Zenzes, AMD-Patientin

Foto: Horst Siemes ( hosie )

Die Krankenkassen - etwa die AOK - hingegen erklären, dass eine Übernahme der Fahrtkosten weder heute noch in der Vergangenheit möglich gewesen sei. Fahrtkosten könnten sie bei Operationen und im Ausnahmefall bei ambulanten Behandlungen bezahlen, etwa bei Chemotherapie. Die Spritzen ins Auge zählten aber nicht zu diesen Ausnahmen. Dies habe der Gesetzgeber so geregelt, die Kassen seien daran gebunden.

Helena Zenzes ist 71 Jahre alt, ihr Mann 82. Das Paar wohnt in Lobberich und erhält weniger als 1000 Euro Rente im Monat. Zur Voruntersuchung fuhren sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln. "Um 8 Uhr war der Termin, wir sind 6.15 Uhr losgefahren", sagt Zenzes. Auf dem Rückweg dann der Schreck: Ihr Mann lief vor die Straßenbahn, die in letzter Sekunde bremste. "Wir können nicht mehr mit Bus und Bahn fahren. Das ist einfach nicht sicher", sagt die Nettetalerin. "Ich kann nicht einmal auf dem Fahrplan erkennen, wann die Busse fahren."

Zenzes weiß nicht weiter. Alleine kann sie den Weg zur Behandlung nicht bewältigen. Laut van Gansewinkel dürfe sie es auch nicht, weil sie nach jeder Spritze zunächst nur verschwommen sieht. Keine Basis, um am Straßenverkehr teilzunehmen. Die Taxifahrt nach Krefeld und zurück kostet zwischen 90 und 100 Euro - mehr, als die Seniorin aufbringen kann. "Und ohne die Spritzen werde ich blind", sagt sie.

Der Mediziner Marco van Gansewinkel bittet die Kasse eindringlich, die Taxikosten zu übernehmen: "Sie können vieles verlieren. Aber blind zu werden, ist das Schlimmste, was es gibt."

Helena Zenzes ist nicht die einzige Betroffene. Auch die Nettetalerin Ingeborg Hubatsch bekommt die Spritzen im Glashaus, sie ist bei der Techniker Krankenkasse versichert. "Nach den Spritzen mit Bus und Bahn nach Hause zu fahren, würde ich mich nicht trauen. Ich kann dann Distanzen nicht mehr richtig erkennen." Sie versucht, ihren Sohn und ihre Tochter zu bitten, sie zur Behandlung zu fahren. Das klappt nicht immer, ihre Kinder wohnen in Aachen und Köln, sind beruflich eingespannt. "Ich zahle die Fahrt selbst, aber das ist sehr schwierig für mich. Ich habe nicht so viel Rente", sagt Ingeborg Hubatsch.

Die Techniker Krankenkasse erklärt, dass sie die Fahrt aufgrund der gesetzlichen Vorgaben nicht bezahlen könne.

Dass es anders geht, zeigt das Beispiel einer Patientin von Marco van Gansewinkel, die bei der BKK VBU versichert ist. Die gesetzliche Kasse zahlte die Fahrtkosten bis 2014, im vergangenen Jahr aber verweigerte sie die Zahlung. Arzt und Sohn der Patientin schalteten sich ein. Nun gab die Kasse wieder eine Zusage, die bis Ende 2016 gilt.

Van Gansewinkel empört es, dass die Kosten nicht erstattet werden: "Jede Spritze kostet etwa 200 Euro, das wird anstandslos gezahlt. Aber dafür, dass die Patienten auch dorthin gelangen können, wo sie die Spritzen bekommen, zahlen die Kassen nicht." Er hat sich mehrfach mit den Kassen auseinander gesetzt. In den vergangenen Jahren hätten sie in den meisten Fällen zugesagt, die Kosten zu übernehmen, nachdem er die Lage der Patienten geschildert hatte. "Da die Kassen nun sparen müssen, ist meine Vermutung, zieht man sich auf die gesetzliche Regelung zurück", erklärt van Gansewinkel.

Der Mediziner möchte erreichen, dass die Kassen in Zukunft die Kosten übernehmen können, wenn die Patienten sich die Fahrt sonst nicht leisten können und die Behandlung deshalb abbrechen würden. "Das sind Dinge, die mich anfechten als Arzt - wenn ich zusehen muss, wie die Leute erblinden", sagt van Gansewinkel.

(RP)
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