Neuss Beyers Hommage an Thomas Kling

Neuss · Der 50-jährige Autor und Dichter Marcel Beyer verarbeitet in seinem jüngsten Gedichtband "Graphit" seine Hombroicher Beobachtungen und Erfahrungen. Dafür wird ihm der Düsseldorfer Literaturpreis 2016 verliehen.

 Marcel Beyer (hier auf der Frankfurter Buchmesse vor zwei Jahren) ist in Neuss aufgewachsen, lebt heute aber in Dresden.

Marcel Beyer (hier auf der Frankfurter Buchmesse vor zwei Jahren) ist in Neuss aufgewachsen, lebt heute aber in Dresden.

Foto: dpa

Offenbar ist Marcel Beyer einer, den man gerne ehrt. Seit 1991 - also mit seinem Romandebüt "Das Menschenfleisch" - wurden ihm bislang 25 Literaturpreise verliehen, darunter fast alle namhaften. Nun kommt der 26. hinzu: Marcel Beyer wird Düsseldorfer Literaturpreisträger 2016 und darf sich über eine Preissumme von 20.000 Euro freuen.

Mag sein, dass neben der Qualität seiner Werke auch die literarische Unberechenbarkeit den Preissegen förderte. Beyer begann als Lyriker, dessen Gedichte unverkennbar von den Arbeiten Friederike Mayröckers beeinflusst waren. Über die österreichische Dichterin und Lebensgefährtin von Ernst Jandl hatte Marcel Beyer zudem wissenschaftlich gearbeitet. Sein Durchbruch aber gelang ihm mit Prosa - mit dem Roman "Flughunde" aus dem Jahr 1995. Der erzählt verwegen vom Ende des Zweiten Weltkriegs, indem die Geschichte aus den Perspektiven eines fanatischen Akustikers in Nazi-Diensten sowie einer Goebbels-Tochter transportiert wird. Schon in diesem Prosawerk ist es Beyer um die Instrumentalisierung von Sprache gegangen.

Das Thema hat ihn bis heute nicht losgelassen. So kritisierte er in seiner Dankesrede zum Heinrich-Böll-Preis 2001 jene Autoren, die sich inflationär zu tagespolitischen Ereignissen zu Wort meldeten. Nichts gegen Engagement und Einmischung; doch würden solche massive Bekundungen von Autoren eine Art Missbrauch der Sprache darstellen. Auch so etwas reicht schon aus, um im eher geruhsamen Literaturbetrieb hierzulande als "Ruhestörer" zu gelten.

Nach "Flughunde" ließ Marcel Beyer, der bereits als 15-Jähriger seine ersten Gedichte schrieb, weitere Romane folgen, Erzählungen, Essays, ein Opernlibretto und immer wieder Gedichte - zuletzt mit dem Band "Graphit" von 2014. Besonders auf dieses Werk beziehen sich jetzt die Düsseldorfer Juroren, die dem 50-Jährigen attestieren, mit seiner akribisch genauen Sprache sowohl Alltägliches als auch Zeithistorisches zu thematisieren.

Spannend an "Graphit" ist aber auch, dass der in Kiel und Neuss aufgewachsene Autor sich literarisch seinen Wurzeln annähert. Dies geschieht vor allem über einen anderen Dichter, der ihm poetisches Vorbild und als Düsseldorfer Literaturpreisträger auch Vorgänger war: über den vor gut zehn Jahren gestorbenen Thomas Kling.

Dieser hatte Marcel Beyer als jungen aufstrebenden Lyriker 2002 als Stipendiaten des von ihm ins Leben gerufenen Projekts "Fellowship: Literatur" für zwei Monate auf die Raketenstation geholt. Für Marcel Beyer war das damals auch eine Rückkehr in die Kindheit, denn zu gut erinnerte er sich an die Zeiten, als er noch mit dem Rad um die umzäunte ehemalige Nato-Station herumfuhr. Zur Raketenstation kehrte der heute im Osten Deutschlands lebende 50-Jährige immer wieder zurück. Zu Lesungen und Veranstaltungen unter dem Kling-Nachfolger Oswald Egger oder wie zum zehnten Todestag von Thomas Kling im April vergangenen Jahres zu einem Austausch über die Lyrik des mit 47 Jahren gestorbenen Kling.

In seinem Gedichtband "Graphit" hat Beyer seine Hombroicher Beobachtungen und Erfahrungen vielfach verarbeitet. Ob es die flachen Äcker rund um die Raketenstation sind oder die Skihalle und deren "Schneimeister" - in sechs Gedichten zeigt Marcel Beyer in virtuoser Sprache, was Hombroich ihm bedeutet und wie es ihn bewegt.

Dabei ist sein Blick nicht allein zurück aufs Rheinland gerichtet, sondern auch auf Thomas Kling. Dessen Gedicht "vogelherd. mikrobukolika" etwa habe ihn tief beeindruckt, sagt Beyer. Mit Klings Tod sei einfach eine Leerstelle entstanden, die seine Gedichte immer wieder umspielen. Mit "Wacholder" hat er ein Gedicht betitelt, das eine liebevolle Form der Hommage an Kling ist. Und von besonderer Bedeutung, da es im Herbst 2004 entstanden ist, wenige Monate, bevor der an Krebs erkrankte Kling starb.

(NGZ)
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