Neusser Artillerie Frau "Chef" hat alles im Griff

Neuss · Die Neusser Artillerie hat keinen Major oder Hauptmann, sondern einen Chef. Und gleich noch eine "Chefin" dazu. Das Amt existiert offiziell zwar nicht, aber Petra Degener-Heckhausen füllt es mit Leidenschaft und Begeisterung aus.

 Zu den Aufgaben der "Artillerie-Chefin" gehört unter anderem, den Jüngeren den Wiener Walzer für den Ball beizubringen.

Zu den Aufgaben der "Artillerie-Chefin" gehört unter anderem, den Jüngeren den Wiener Walzer für den Ball beizubringen.

Foto: Woitschützke, Andreas (woi)

Ein kurzes Telefonat - alles in Ordnung: Sohn Matthias ist auf dem Weg, samt Sekt und Gläsern für die Damen. Den Nelkenstrauß in den Korpsfarben Rot und Weiß für die Siegerin hat Petra Degener-Heckhausen am Vormittag beim Floristen abgeholt. Jetzt ist Zeit, sich den nach und nach am Geläuf der Rennbahn eintreffenden Damen zu widmen, die das Flachbahn-Rennen der Neusser Artilleristen beobachten wollen.

Auch wenn zwischendurch immer wieder organisatorische Fragen zu beantworten oder Termine abzusprechen sind, genießt sie das bunte Treiben auf der Festwiese: "Der Kirmesdienstag ist ein entspannter Tag", findet Petra Degener-Heckhausen und begrüßt gut gelaunt die nächsten Ankömmlinge.

Organisatorin, Einkäuferin und Dekorateurin, Protokollchefin, Gastgeberin und Aushilfs-Tanzlehrerin - Petra Degener-Heckhausen vereint diese und wenn nötig weitere Funktionen in einer Person. Und das ist auch gut so, denn als Ehefrau des Artillerie-Chefs Jörg Heckhausen sind alle diese Fähigkeiten im Laufe eines Schützenjahres gefragt.

Ach ja, und begeistertes "Rösken" ist die 50-Jährige natürlich auch. Da versteht es sich von selbst, dass im Notfall sogar der Urlaub unterbrochen wird, um Neusser Kirmes zu feiern. Wenn das Schützenfest für sie auch oft mit viel Arbeit und Verantwortung verbunden ist: "Ich bin mit Kirmes groß geworden, da ist einem nichts zu viel!", versichert die Grimlinghausenerin, die sich als kleines Mädchen mit dem Putzen von Papas Trommel ihr Kirmesgeld verdiente, und ergänzt lachend: "Meine Kinder sind genauso jeck."

Offenbar ist das Kirmes-"Virus" also erblich, kann aber auch noch per Heirat übertragen werden. So wie im Fall ihres Mannes, der aus Hilden stammt und erst durch die Familie seiner Frau mit dem Schützenfest Neusser Art in Berührung kam. Da war der Weg zum kleinen, aber stolzen Traditions-Korps mit der Protze nicht weit. Immerhin reitet Schwager Michael Mertens seit 40 Jahren in Artillerie-Uniform über den Markt, ist erster Vorsitzender und Adjutant.

Als Ende 2010 ein neuer Artillerie-Chef gesucht wurde, beriet sich Jörg Heckhausen allerdings erst einmal mit seiner Frau. Die zögerte nicht lange, sondern antwortete spontan: "Wenn du meinst, ich mach alles mit." Erst nach dem grundsätzlichen Ja hätten sie dann detailliert darüber nachgedacht, welche zusätzlichen Aufgaben und (zeitliche) Verpflichtungen auf sie zukämen, dann aber auch offiziell ihr Okay gegeben.

Bereut haben es beide bisher nicht. "Die Artillerie ist eine große Gemeinschaft. Zusammen haben wir Spaß, lachen, tanzen, singen - das volle Programm", erklärt Petra Degener-Heckhausen ihre Begeisterung. Enge Freundschaften hätten sich entwickelt, man teile Freud' und Leid miteinander. Ob sie sich ihren Mann Jörg denn auch in einem anderen Korps vorstellen könnte? "Nein", kommt die entschiedene Antwort. Alle Damen seien sehr stolz auf ihre Männer, wenn sie hoch zu Ross uniformiert durch die Stadt reiten.

Praktischerweise wohnen Vize-Chef Michael Mertens und Ehefrau Christiane nur wenige Türen entfernt von Familie Heckhausen, so dass die Schwestern sich unkompliziert auf dem "kleinen Dienstweg" abstimmen, vieles gemeinsam planen und organisieren können. Wie etwa den Ablauf des Siegerballs: Nicht nur Blumen für den Hofstaat und die Tische, Kerzen und die übrige Dekoration sind "Frauensache", auch die Hofcour muss vorbereitet werden.

Und dazu wird ein Hofstaat benötigt. "Es wird immer schwieriger, junge Leute dafür zu begeistern", gibt Petra Degener-Heckhausen zu, die natürlich auch ihre Töchter Anna-Christin und Marie-Helen ebenso wie die Töchter ihres Mannes, Bettina und Anne-Christine, wiederholt als Hofdamen eingesetzt hat, "im Nachhinein haben alle immer sehr viel Spaß." Ist die Garderobe der jungen Damen komplett? Werden noch Handschuhe benötigt, die "Chefin" und "Vize-Chefin" zur Not aus privatem Bestand leihweise zur Verfügung stellen? Kennt jeder seinen Platz? Und klappt der Wiener Walzer unfallfrei?

Die Chargierten-Frauen überlassen nichts dem Zufall: Die Hofcour plant Petra Degener-Heckhausen daheim am Computer, beim Hofstaat-Vortreffen im Reuterhof wird geübt. Das ist auch die Gelegenheit, den Walzerschritt zu proben.

"Vor dem Siegerball kommt das Siegerpaar nachmittags zu uns nach Hause, da trinken wir ein Gläschen Sekt zur 'Entspannung' und gehen von dort aus los", erzählt "Frau Chefin", die im zivilen Leben den Offenen Ganztag "Villa Hippelang" an der Pestalozzischule in Grimlinghausen leitet. Auch dort pflegt sie das Brauchtum, wenn etwa "Unser Schützenfest" Wochenthema der Ferienbetreuung ist und die Mädchen und Jungen mit Feuereifer beim Dosenwerfen den Kinderkönig ermitteln.

Das Schützenjahr ist voller Termine und Traditionen. Parallel zu den monatlichen Versammlungen der Männer kommen auch die Frauen zusammen. Wenn sich die 24 Artilleristen - der älteste ist stattliche 88 Jahre alt, der jüngste gerade 15 - im Spätherbst zur Generalversammlung treffen, setzen sich die Damen bei Christiane Mertens zum Weckmannessen um den Tisch. Am Samstag vor dem Patronatstag versammeln sie sich zur Weihnachtsfeier.

Der Patronatstag selbst ist eigentlich Männersache. Eigentlich. "Uneigentlich organisiere ich dann ein Frühstück für die Damen", klärt Petra Degener-Heckhausen auf, die gezielt auch die Partnerinnen der älteren passiven Mitglieder einbezieht. Sie sind selbstredend auch beim alljährigen Damenausflug mit von der Partie. Und für Petra Degener-Heckhausen ist es Ehrensache, dass jede der Frauen zum Geburtstag eine persönliche Glückwunschkarte erhält.

Bei so viel Begeisterung fürs Sommer-Brauchtum ist es fast zu wenig, nur einmal im Jahr Schützenfest zu feiern. Und so hat sich längst eingebürgert, dass sich die große Artillerie-Familie zu Grimlinghausener Kirmes im Hause Heckhausen zu Kaffee, Kuchen und kühlem Bier trifft. "Das sind wir so um die 50 Personen", erzählt Petra Degener-Heckhausen fröhlich. Und sie wirkt dabei, als wäre sie ganz in ihrem Element.

(RP)
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