Neuss Neusser Schraubenfabrik vor dem Aus?

Neuss · Wegen einer Auslastung von nur noch 24 Prozent im Neusser Werk der Whitesell-Gruppe wird die Belegschaft auf etwas mehr als 100 Stellen reduziert. Sollte sich aber kein Investor finden, sind auch diese Jobs keineswegs sicher.

 Leere Werkshallen bei Whitesell. Die Belegschaft schrumpfte gestern auf etwas mehr als 100 Köpfe zusammen.

Leere Werkshallen bei Whitesell. Die Belegschaft schrumpfte gestern auf etwas mehr als 100 Köpfe zusammen.

Foto: A. Woitschützke

Zum Schichtbeginn gestern früh zählte die Mannschaft des Automobilzulieferers Whitesell nur noch etwas mehr als 100 Köpfe. Hinter gut 150 Mitarbeitern hatte sich tags zuvor zum letzten Mal das Werkstor der Neusser Schraubenfabrik am Hauptbahnhof geschlossen. Sie sind freigestellt, wissen aber aus einem Schreiben des Insolvenzverwalters: Die Kündigung ist auf dem Weg. Zum Teil hatten sie Jahrzehnte im Unternehmen gearbeitet, berichtet der Betriebsratsvorsitzende Karlheinz Salzburg, der seine nun Ex-Kollegen zum Tor begleitet hatte. "Das tat weh", sagt er.

Nach der gestrigen Entscheidung des Düsseldorfer Insolvenzgerichtes, das Insolvenzverfahren gegen die Whitesell-Firmengruppe in Deutschland zu eröffnen, steht für die entlassenen Mitarbeiter am Montag der Gang zur Agentur für Arbeit an. Auch dabei werden sie von Mitgliedern des Betriebsrates begleitet. "Es gibt Kollegen, die haben ein Leben lang bei Bauer & Schaurte gearbeitet und nie das Arbeitsamt von innen gesehen", sagt Salzburg, dem der Name des letzten "Investors" kaum mehr über die Lippen kommt. "Denen müssen wir helfen."

Als der US-Investor Whitesell die Neusser Fabrik Anfang 2014 aus einer Insolvenz übernahm, waren die Auftragsbücher voll. Einschließlich der Management-Mitarbeiter im Neusser "Headquarter" standen damals noch 320 Mitarbeiter auf der Lohnliste. Ihnen eröffnete Whitesell am 9. Juli, das Neusser Werk im Zuge einer Restrukturierung zum Jahresende schließen zu wollen. Ohne Sozialplan. Weil das Arbeitsgericht Mönchengladbach das nicht mitmachen wollte, stellte Whitesell stattdessen am 28. Januar Insolvenzantrag.

In wirtschaftliche Schieflage kam das Werk durch unseriöse Geschäftspraktiken des neuen Besitzers, der am Markt neue Preise durchsetzen wollte. Das sah nicht nur die IG Metall so. Auch Kunden wie BMW sprachen von Erpressung. Wer konnte, suchte sich andere Lieferanten, so dass die Auslastung der Gruppe auf rund 30 Prozent sank - die des Neusser Werkes sogar auf 24.

Weil die Arbeit fehlt, muss jetzt die Belegschaft reduziert werden. "Die Freistellung war unvermeidlich", erklärte gestern Insolvenzverwalter Biner Bähr. Denn mit Ende des vorläufigen Insolvenzverfahrens zahlt das Arbeitsamt kein Konkursausfallgeld für die Löhne mehr. Verluste darf der anders haftende Insolvenzverwalter nicht machen.

Schafft die verbliebene Truppe doch noch die Wende und die Auftragszahlen steigen wieder, so berichtet Salzburg, sei mit dem Insolvenzverwalter vereinbart, bei Neueinstellungen zuerst auf den "Pool von Bauer & Schaurte zurückzugreifen". Wegen der Expertise der Beschäftigten - und weil die nach Überzeugung des Betriebsratsvorsitzenden nur schwer eine Arbeit finden werden. Das Durchschnittsalter der Belegschaft lag bei 48 Jahren, die durchschnittliche Werkszugehörigkeit bei 20 Jahren.

Über 50 Mitarbeiter haben in den vergangenen 15 Monaten von sich aus gekündigt. Meist waren das die jungen, gut qualifizierten Whitesell-Beschäftigten. Sie folgten nicht selten den verlorengegangenen Aufträgen in die Werke der Konkurrenz. "Die hat uns regelrecht abgegrast", sagt Salzburg.

Wer jetzt die Kündigung erhält, fällt in ein Loch. Weil dem Insolvenzverwalter das Geld fehlt, gibt es weder Sozialplan noch Transfers- oder Auffanggesellschaft. Über eine solche sei mit dem Land gesprochen worden, berichtet Frank Wolters, der Leiter des städtischen Amtes für Wirtschaftsförderung. Aber das Land kann nur tätig werden, wenn der Besitzer Geld dazutut. Von Whitesell, das zeigen die Erfahrungen, war da nichts zu erwarten.

(NGZ)
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