Interview mit Christian Lindner "Berufs-Revolutionär aus Überzeugung"

Remscheid · Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner glaubt an die Chancen seiner Partei bei den Europa- und Kommunalwahlen. Solide Finanzen sind ihm wichtig. Jedem, der ihm schreibt, will er antworten.

Christian Lindner, OB-Kandidat Hans-Lothar Schiffer und Fraktionschef Wolf Lüttinger (von links) werden beim Redaktionsbesuch in Remscheid von Regionalleiter Bernd Bussang begrüßt.

Christian Lindner, OB-Kandidat Hans-Lothar Schiffer und Fraktionschef Wolf Lüttinger (von links) werden beim Redaktionsbesuch in Remscheid von Regionalleiter Bernd Bussang begrüßt.

Foto: Nico Hertgen

Am Wochenende war Bundesparteitag der FDP. Welches war das wichtigste Signal, das Sie persönlich mitgenommen haben?

Lindner Wir sind noch im Wiederaufbau der Partei. Aber wir sind sehr motiviert, am 25. Mai wieder mehr Menschen von einer erneuerten FDP zu überzeugen, das tun wir durch klare Positionen und Alternativen in der Sache. Da wo alle anderen zum Beispiel nur "ja aber" zu Europa sagen, begründen wir, dass wir Europa brauchen, weil es den Frieden sichert, der Binnenmarkt unseren Wohlstand nährt und wir globale Fragen auf der Welt nur gemeinsam bewältigen können. Wir wollen Europa besser machen, aber nicht abwickeln. Zudem beschreiben wir mit unserem aktuellen Rentenkonzept, dass es notwendig ist, die Generationen zusammen zu halten und gleichzeitig mehr Selbstbestimmung zu ermöglichen. Wo die anderen über die Rente mit 63, 67 oder 70 sprechen, setzen wir uns für einen individuellen, flexiblen Renteneintritt zwischen 60 und 70 Jahren ein. Wer länger arbeitet, erhält mehr Rente, wer früher aufhört, weniger - das ist modern und gerecht.

Warum scheint es so, dass zumindest in Berlin niemand die FDP vermisst?

Lindner Die Umfragen sprechen eine andere Sprache. 20 Prozent der Deutschen sagen, sie wünschen sich die FDP in die Bundespolitik zurück.

Die Menschen wollen die FDP, aber sie wählen sie nicht.

Lindner Es gibt Menschen, die sagen, wir wollen euch, aber zuerst beobachten wir euch noch. Die wollen wir gewinnen, die FDP bei der Europa- und den Kommunalwahlen stark zu machen. Das wäre auch ein Signal nach Berlin, mit unsolide finanzierten Wahlgeschenken aufzuhören.

Inwieweit ist die Kommunalwahl auch ein bundesweiter Stimmungstest für Ihre Partei?

Lindner Vor allem geht es um die Frage, welche Entwicklung unsere Städte und Gemeinden nehmen. Unsere Leute vor Ort haben in den vergangenen fünf Jahren sehr gute Arbeit geleistet, sich eingesetzt für solide Finanzen, schlanke Bürokratie und starke Bildung. Die haben nicht zu verantworten, dass die FDP im Bund Vertrauen verloren hat.

Wozu brauchen die bergischen Städte die FDP?

Lindner Für die Erkenntnis, dass man erst mal das Geld zusammen halten muss, bevor man sich etwas leisten kann. Das kennen wir aus der privaten Haushaltsführung, das hat aber Gültigkeit bis nach Europa. Die FDP hat in den vergangenen Jahren auch im Bund gezeigt, dass wir mit dem Geld sorgfältiger umgehen als andere.

Was können Land und Bund tun?

Lindner Natürlich gibt es eine Verpflichtung von Land und Bund, den Kommunen zu helfen. Alle Parteien haben zugesagt, dass in dieser Periode 2013 bis 2017 auch die sogenannte Eingliederungshilfe für Behinderte vom Bund mitfanziert wird. Und da stiehlt sich die Große Koalition jetzt raus. Trotz Rekords bei Steuereinnahmen geben CDU und SPD die zugesagten Mittel nicht an die Kommunen. Dieser Wortbruch führt dazu, dass man etwa in Remscheid an jeder fleckigen Stelle an der Schulwand und an jedem Schlagloch ein Schild aufstellen kann: "Das wird ihnen präsentiert von der Großen Koalition in Berlin."

Sie haben sehr früh politische Karriere im Landtag gemacht. Wollten Sie nie Bürgermeister von Wermelskirchen werden?

Lindner Nein, ich habe damals ja meinen Freund Erik Weik gewonnen, für dieses Amt zu kandidieren. Es gab die Situation, dass wir sehr unzufrieden waren mit dem CDU-Amtsinhaber, und wir haben dann zusammen mit den Wählergemeinschaften einen gemeinsamen Kandidaten gesucht. Der kompetenteste und populärste war Erik Weik, und Wermelskirchen wird sehr gut von einem Liberalen geführt.

Das Bergische war ja schon immer FDP-Hochburg. Walter Scheel wurde in Solingen geboren. Der aktuelle Bundesvorsitzende kommt aus Wermelskirchen. Fördert die bergische Luft das Freiheitsdenken?

Lindner Auch Hans-Dietrich Genscher hatte seinen Bundestagswahlkreis in Wuppertal. Ja, ich glaube, dass die Bergischen mit ihrem Querdenkertum und Tüftlergeist ganz gut zu uns passen. Seit der Schlacht bei Worringen weiß man ja auch, dass die Bergischen Freiheitskämpfer sind.

Jetzt könnte die bergische Luft für die FDP dünner werden?

Lindner Abwarten. Wir haben integre und kompetente Kandidaten, die die Bürger kennen. Die Geländegängigkeit und Authentizität, die im Bund gefehlt hat, haben wir hier.

Die Sanierung der Müngstener Brücke verzögert sich. Das ärgert viele Menschen im Bergischen. Was kann das Land tun?

Lindner Wir als Abgeordnete können nur Druck über die Gremien der Bahn machen. Generell ist das Thema Infrastruktur eine Zukunftsaufgabe. Doch sinkt der Anteil der Investitionen in Bund und Land. Das ist zukunftsvergessen.

Gibt der Bundesvorsitzende seinen Kommunalvertretern Ratschläge?

Lindner Andersrum wird ein Schuh draus, ich hole Ratschläge von denen, die nah dran sind. Der unmittelbare Austausch zwischen der Führung in Berlin und der Partei vor Ort hat zuletzt nicht mehr funktioniert, das verändere ich. Ich habe die Angewohnheit, jedem zu antworten, der mir schreibt. Das bezieht sich nicht nur auf Parteifreunde, sondern auf jeden Bürger. Ich bin gerne in Kontakt, und ich mache meinen Job gerne. Ich bin sozusagen ein Berufsrevolutionär aus Überzeugung.

DAS GESPRÄCH FÜHRTE BERND BUSSANG

(RP)
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