Viersen Streitgespräche in der Galerie im Park

Viersen · Zwei Menschen sehen sich ein Bild an. Sie reden darüber, sie streiten darüber. Wie viel der eine dabei vom anderen lernen kann, zeigen Sigrid Blomen-Radermacher und Martin Radermacher morgen und übermorgen in Viersen

Viersen: Streitgespräche in der Galerie im Park
Foto: Busch Franz-Heinrich sen.

Zwei Menschen gehen über den Gehweg. Einer trägt einen Ranzen, der andere hält den Oberkörper gebeugt. Er sieht müde aus. "Durch den Schatten" heißt dieses Bild von Yolanda Encabo. "Das Bild erzählt eine Geschichte", sagt Sigrid Blomen-Radermacher. Aber reicht es, wenn ein Kunstwerk nur zum Weiterspinnen anregt? Das ist die Frage, die die 58-Jährige und ihr Sohn Martin Radermacher (33) sich stellen, wenn sie das Bild betrachten.

An diesem Wochenende werden die beiden Yolanda Encabos Bild erneut betrachten. Sie werden darüber reden, sie werden darüber streiten. Sie werden aus unterschiedlichen Positionen heraus an die Bildbetrachtung herangehen. Und das macht das Zuhören und Mitdiskutieren so spannend. Beide haben Erfahrung mit dieser Art der Diskussion über eine künstlerische Arbeit, sorgten die Viersener Kunsthistorikerin und ihr Sohn, Kultur- und Religionswissenschaftler, bei Dialogführungen im K 20 der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf doch auch schon für den anderen Blick auf Kunst. Dort gibt es Dialogführungen unter dem Titel "Zankduette".

 Ausschnitt aus einer Arbeit ohne Titel von Ellen Katterbach, 2001.

Ausschnitt aus einer Arbeit ohne Titel von Ellen Katterbach, 2001.

Foto: Busch Franz-Heinrich sen.

So kam die Viersenerin auf die Idee, den Dialog schriftlich zu führen. Sie wählte nach eigenen Vorlieben zwölf zeitgenössische Werke aus und begann, darüber zu schreiben. Ihre Ideen schickte sie per E-Mail an ihren Sohn, der seine Ideen zu dem Bild darunter schrieb und wieder an die Mutter schickte. Hin und her gingen die E-Mails. So entstanden nach und nach die zwölf Kapitel des Buches, das unter dem Titel "Von zwei Seiten - Auf zwei Seiten" nun in der Galerie erhältlich ist.

Über diese zwölf Werke führen Mutter und Sohn nun am Samstag und Sonntag Streitgespräche - und das inmitten der Bilder, die Sigrid Blomen-Radermacher für das Buch auswählte. Acht hängen in der Galerie, vier Arbeiten, die im öffentlichen Raum stehen, sind auf Fotografien zu sehen. Neben Yolanda Encabo sind Ellen Katterbach, Jürgen Drewer, Dagmar Reichel, Lotte Seyerl, Katharina Lichtenscheidt, Stefan Kaiser, Ilya Kabakov, Gilbert Brohl, Mauro Staccioli und Ulrike Möschel vertreten sowie ein namenloser Künstler.

 "Der König" von Stefan Kaiser, entstanden 2009.

"Der König" von Stefan Kaiser, entstanden 2009.

Foto: Busch Franz-Heinrich sen.

Mit den Streitgesprächen wollen Mutter und Sohn innovative Zugänge zu zeitgenössischer Kunst bieten. Dort finde die Kontroverse statt, sagt Sigrid Blomen-Radermacher, "über einen Rembrandt streitet man nicht mehr". Die zeitgenössische Kunst fordere zur Diskussion auf, "sie ist offen, muss sich behaupten".

Die Streitgespräche sollen Lust machen auf den Kunst-Dialog. Das sei immer wieder spannend, sagt die Kunsthistorikerin. Menschen aus unterschiedlichen Berufe hätten eben einen unterschiedlichen Blick auf ein Werk: "Jeder schöpft aus dem, was er kennt, was er erarbeitet hat. Für mich ich ein Bild nicht nur Farbe und Form, ich versuche, einen Zugang dazu zu finden, der das Bild ins Leben hinein holt. Und mein Sohn erweitert diesen Zugang, indem er Bereiche dazu holt, die mir nicht so präsent sind."

 Ausschnitt aus dem Bild "Arcadia" von Gilbert Brohl, 2012.

Ausschnitt aus dem Bild "Arcadia" von Gilbert Brohl, 2012.

Foto: Busch

Und so kommen beide "vom Hölzken aufs Stöckscken": Stefan Kaisers Arbeit "Der König" im Blick, führt der Weg über den Erlkönig und "Der Herr der Ringe" zur Buche - letztlich zu der Frage nach dem Unterschied zwischen Natur und Kultur. Gilbert Brohls "Arcadia" steht am Anfang einer Diskussion über Utopien - ist dieses Arkadien nicht eher bedrohlich? Eine Arbeit von Ellen Katterbach, die keinen Titel trägt, ist ebenso Gegenstand eines Streitgesprächs.

Im Buch richtet die Viersenerin die Einladung an den Sohn: "Lass doch den Sinn, lass doch die Frage ,Was will der Künstler uns damit sagen?' einmal beiseite. Tritt in einen Dialog mit dem, was du siehst, und begib dich auf einen Spaziergang mit unbekanntem Ziel." Diese Einladung gilt für alle: Am "Spaziergang mit unbekanntem Ziel" kann am Wochenende jeder teilnehmen.

(RP)
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